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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Zustände in Sardinien.
i.
Die Stimmung und das Heer.

Der Ticino, welcher dos Königreich Sardinien von den italienischen Pro¬
vinzen seiner k. k. apostolischen Majestät trennt, ist nur ein kleiner Fluß, und
doch bildet er gegenwärtig eine gar gewaltige Scheidelinie. Selten habe ich.
einen so jähen Gegensatz zwischen zwei Nachbarstaaten gefunden, wie jetzt beim
Uebergange von östreichischen auf sardinisches Gebiet. Und doch ist das Volk
jenseit und diesseit der gelben Wasser des Ticin dasselbe, es spricht eine Sprache,
hat gleiche Lebensgewohnheiten und Sitten, nährt gleiche glühende Hoffnungen,
gleich tiefen Haß. Der Bauer der Lombardei würde mit ruhiger Miene den
k. k. Gensdarmen, den irgend ein Unglück träfe, hilflos umkommen lassen, nicht
einmal weibliches Mitleiden könnte den tiefen nationalen Haß besiegen, selbst der
Räuber und Mörder wird von seinen Landsleuten nur selten ihren fremden Be¬
schützern verrathen, wenn es aber gilt, die kecken sardinischen Schmuggler zu
unterstützen, oder gar irgend einen geächteten Flüchtling der Polizei zu verbergen,
dann ist der Longobarde in Feuer und Flammen, er besiegt seine Indolenz und
vergißt sogar seinen Eigennutz. Ist aber die sardinische und lougobardische Be¬
völkerung, soweit letztere ihre Gesinnungen äußern darf, aus denselben Stoffen,
so sind die oberen wie niederen Behörden derselben desto mehr verschieden. Alle
Personen, mit denen der Reisende in den k. k. Provinzen Italiens zusammen¬
kommt, sind fast durchweg uicht Söhne derselben. Das an 100,000 Mann starke
Heer, dessen Soldaten in starken Patrouillen Wachen und unzähligen Posten
überall, selbst in den kleinsten Städten, sich zeigen, sind größtentheils Slaven,
Ungarn und Deutsche. Die italienischen Truppen stehen jetzt sämmtlich in
Böhmen, Gallizien und Ungarn, dagegen vorzugsweise viel böhmische, gallizische,
mährische und steyerische Regimenter in Italien. Selbst die grün und rosen-


Grenzbole". IV. 48öZ. 41
Zustände in Sardinien.
i.
Die Stimmung und das Heer.

Der Ticino, welcher dos Königreich Sardinien von den italienischen Pro¬
vinzen seiner k. k. apostolischen Majestät trennt, ist nur ein kleiner Fluß, und
doch bildet er gegenwärtig eine gar gewaltige Scheidelinie. Selten habe ich.
einen so jähen Gegensatz zwischen zwei Nachbarstaaten gefunden, wie jetzt beim
Uebergange von östreichischen auf sardinisches Gebiet. Und doch ist das Volk
jenseit und diesseit der gelben Wasser des Ticin dasselbe, es spricht eine Sprache,
hat gleiche Lebensgewohnheiten und Sitten, nährt gleiche glühende Hoffnungen,
gleich tiefen Haß. Der Bauer der Lombardei würde mit ruhiger Miene den
k. k. Gensdarmen, den irgend ein Unglück träfe, hilflos umkommen lassen, nicht
einmal weibliches Mitleiden könnte den tiefen nationalen Haß besiegen, selbst der
Räuber und Mörder wird von seinen Landsleuten nur selten ihren fremden Be¬
schützern verrathen, wenn es aber gilt, die kecken sardinischen Schmuggler zu
unterstützen, oder gar irgend einen geächteten Flüchtling der Polizei zu verbergen,
dann ist der Longobarde in Feuer und Flammen, er besiegt seine Indolenz und
vergißt sogar seinen Eigennutz. Ist aber die sardinische und lougobardische Be¬
völkerung, soweit letztere ihre Gesinnungen äußern darf, aus denselben Stoffen,
so sind die oberen wie niederen Behörden derselben desto mehr verschieden. Alle
Personen, mit denen der Reisende in den k. k. Provinzen Italiens zusammen¬
kommt, sind fast durchweg uicht Söhne derselben. Das an 100,000 Mann starke
Heer, dessen Soldaten in starken Patrouillen Wachen und unzähligen Posten
überall, selbst in den kleinsten Städten, sich zeigen, sind größtentheils Slaven,
Ungarn und Deutsche. Die italienischen Truppen stehen jetzt sämmtlich in
Böhmen, Gallizien und Ungarn, dagegen vorzugsweise viel böhmische, gallizische,
mährische und steyerische Regimenter in Italien. Selbst die grün und rosen-


Grenzbole». IV. 48öZ. 41
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[0331] Zustände in Sardinien. i. Die Stimmung und das Heer. Der Ticino, welcher dos Königreich Sardinien von den italienischen Pro¬ vinzen seiner k. k. apostolischen Majestät trennt, ist nur ein kleiner Fluß, und doch bildet er gegenwärtig eine gar gewaltige Scheidelinie. Selten habe ich. einen so jähen Gegensatz zwischen zwei Nachbarstaaten gefunden, wie jetzt beim Uebergange von östreichischen auf sardinisches Gebiet. Und doch ist das Volk jenseit und diesseit der gelben Wasser des Ticin dasselbe, es spricht eine Sprache, hat gleiche Lebensgewohnheiten und Sitten, nährt gleiche glühende Hoffnungen, gleich tiefen Haß. Der Bauer der Lombardei würde mit ruhiger Miene den k. k. Gensdarmen, den irgend ein Unglück träfe, hilflos umkommen lassen, nicht einmal weibliches Mitleiden könnte den tiefen nationalen Haß besiegen, selbst der Räuber und Mörder wird von seinen Landsleuten nur selten ihren fremden Be¬ schützern verrathen, wenn es aber gilt, die kecken sardinischen Schmuggler zu unterstützen, oder gar irgend einen geächteten Flüchtling der Polizei zu verbergen, dann ist der Longobarde in Feuer und Flammen, er besiegt seine Indolenz und vergißt sogar seinen Eigennutz. Ist aber die sardinische und lougobardische Be¬ völkerung, soweit letztere ihre Gesinnungen äußern darf, aus denselben Stoffen, so sind die oberen wie niederen Behörden derselben desto mehr verschieden. Alle Personen, mit denen der Reisende in den k. k. Provinzen Italiens zusammen¬ kommt, sind fast durchweg uicht Söhne derselben. Das an 100,000 Mann starke Heer, dessen Soldaten in starken Patrouillen Wachen und unzähligen Posten überall, selbst in den kleinsten Städten, sich zeigen, sind größtentheils Slaven, Ungarn und Deutsche. Die italienischen Truppen stehen jetzt sämmtlich in Böhmen, Gallizien und Ungarn, dagegen vorzugsweise viel böhmische, gallizische, mährische und steyerische Regimenter in Italien. Selbst die grün und rosen- Grenzbole». IV. 48öZ. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/331>, abgerufen am 27.09.2024.