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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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KtmsimssdriiBe im russischen Geschäftsverkehr.

I^pa, heißt die Tatze; liipaö pakeü, ergreifen; lapa^ve, was gepackt wird.
Und wenn der Reisende, auf der russischen Grenze angelangt, in rascher Folge fünf
bis sechs Grenzwächter, drei Revisoren, den Controleur und den Commandanten
der Kosakeuwache vor sich erscheinen sieht, von denen jeder die Hand krampsig
aufsperrt und durch einen finsterglühcnden Blick sagt: "lege etwas hinein, Menschen¬
sohn, ohne unsre Freundschaft ist hier nicht durchzukommen", -- so wird er ahnen,
daß das Wort I^apo^of eine gewisse amtliche Thätigkeit bezeichnet, ein energisches,
kurz angebundenes Verfahren, ohne Ziererei und Weitläufigkeit. -- Der Beamte
will leben; die Regierung giebt ihm kaum so viel, als zu seinem Frühstück und
Abendbrod nöthig ist, also weist ihn die Regierung gewissermaßen an, wie ein Stoßvogel
Jeden, der mit ihm in Berührung kommt, zu packen, und ihm so viel zu entreißen,
als zu seinen übrigen Bedürfnissen nöthig ist. Diese berühmte Thätigkeit russischer
Beamten duldet auch kein Erröthen der Wangen; ja wenn Einer von Beiden, der
lapirende und der lapirte, durch Scham incommodirt wird, so ist es allemal der
leidende Theil. Der Beamte dagegen fühlt seine Berechtigung, und wenn er
anch hin und wieder bei stiller Ueberlegung erkennen muß, daß er dnrch solche
Industrie der Klasse der Bettler und Räuber zu nahe tritt, so weiß er doch auch,
daß der Staat ihn indirect gewissermaßen darauf angewiesen hat. Und dieses
Bewußtsein ist für den Russen ein eherner Schild, in dessen Schutz die Stirn nie
in's Glühen gerathen kann. Er nimmt seinen Raub entweder amtsmäßig, barsch,
oder gemüthlich und wohlwollend, aber er nimmt ihn unter alleu Umständen; und
geräth nur dann in sittliche Entrüstung, wenn der Reisende so unbehilflich und
grün ist, seine Mimik nicht zu verstehen.

Ein Deutscher will von Warschau abreisen, er braucht, um deu Paß zu erhalten,
Mehreres, z. B. einen Verhaltschcin von dem Polizeicvmmissariate seines Bezirks. Die
Schrift wird durch eine Art Schreiber besorgt. Daß diese Leute jede Entwürdigung
vertragen und verlangen, weiß der Reisende, und legt ihm daher unverweilt sein
^apove vordre Augen; allein bei dem Adjuncten des Kommissars, einem großen
Herrn, der dem Scheine den Stempel aufzudrücken hat, meint der Deutsche
so Etwas nicht wagen zu dürfen. Er begrüßt den Herrn in ehrerbietigster
Weise. .

"Herr Adjunct, wollten Sie die Gewogenheit haben, diesem Scheine den
nöthigen Stempel zu geben!"

Der Beamte sieht den Fremden starr an, mustert ihn mit schnellem Blicke
von oben bis unter, und obschon er bisher völlig ohne Beschäftigung gesessen,
ergreift er doch jetzt plötzlich die Feder, und schreibt in irgend welchen Acten; hebt
aber plötzlich wieder den Kopf empor, wirft einen zweiten düstern Blick aus den


KtmsimssdriiBe im russischen Geschäftsverkehr.

I^pa, heißt die Tatze; liipaö pakeü, ergreifen; lapa^ve, was gepackt wird.
Und wenn der Reisende, auf der russischen Grenze angelangt, in rascher Folge fünf
bis sechs Grenzwächter, drei Revisoren, den Controleur und den Commandanten
der Kosakeuwache vor sich erscheinen sieht, von denen jeder die Hand krampsig
aufsperrt und durch einen finsterglühcnden Blick sagt: „lege etwas hinein, Menschen¬
sohn, ohne unsre Freundschaft ist hier nicht durchzukommen", — so wird er ahnen,
daß das Wort I^apo^of eine gewisse amtliche Thätigkeit bezeichnet, ein energisches,
kurz angebundenes Verfahren, ohne Ziererei und Weitläufigkeit. — Der Beamte
will leben; die Regierung giebt ihm kaum so viel, als zu seinem Frühstück und
Abendbrod nöthig ist, also weist ihn die Regierung gewissermaßen an, wie ein Stoßvogel
Jeden, der mit ihm in Berührung kommt, zu packen, und ihm so viel zu entreißen,
als zu seinen übrigen Bedürfnissen nöthig ist. Diese berühmte Thätigkeit russischer
Beamten duldet auch kein Erröthen der Wangen; ja wenn Einer von Beiden, der
lapirende und der lapirte, durch Scham incommodirt wird, so ist es allemal der
leidende Theil. Der Beamte dagegen fühlt seine Berechtigung, und wenn er
anch hin und wieder bei stiller Ueberlegung erkennen muß, daß er dnrch solche
Industrie der Klasse der Bettler und Räuber zu nahe tritt, so weiß er doch auch,
daß der Staat ihn indirect gewissermaßen darauf angewiesen hat. Und dieses
Bewußtsein ist für den Russen ein eherner Schild, in dessen Schutz die Stirn nie
in's Glühen gerathen kann. Er nimmt seinen Raub entweder amtsmäßig, barsch,
oder gemüthlich und wohlwollend, aber er nimmt ihn unter alleu Umständen; und
geräth nur dann in sittliche Entrüstung, wenn der Reisende so unbehilflich und
grün ist, seine Mimik nicht zu verstehen.

Ein Deutscher will von Warschau abreisen, er braucht, um deu Paß zu erhalten,
Mehreres, z. B. einen Verhaltschcin von dem Polizeicvmmissariate seines Bezirks. Die
Schrift wird durch eine Art Schreiber besorgt. Daß diese Leute jede Entwürdigung
vertragen und verlangen, weiß der Reisende, und legt ihm daher unverweilt sein
^apove vordre Augen; allein bei dem Adjuncten des Kommissars, einem großen
Herrn, der dem Scheine den Stempel aufzudrücken hat, meint der Deutsche
so Etwas nicht wagen zu dürfen. Er begrüßt den Herrn in ehrerbietigster
Weise. .

„Herr Adjunct, wollten Sie die Gewogenheit haben, diesem Scheine den
nöthigen Stempel zu geben!"

Der Beamte sieht den Fremden starr an, mustert ihn mit schnellem Blicke
von oben bis unter, und obschon er bisher völlig ohne Beschäftigung gesessen,
ergreift er doch jetzt plötzlich die Feder, und schreibt in irgend welchen Acten; hebt
aber plötzlich wieder den Kopf empor, wirft einen zweiten düstern Blick aus den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/260>, abgerufen am 27.09.2024.