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Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783.

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Wenn aber ein Kind noch so häßlich aus-
sähe, daß die Pocken z. E. sein Gesicht ganz
verdorben hätten; wäre es auch ein armes.
Bettelkind in zerrissenen und zerlumpten Klei-
dern; es wäre aber höflich und bescheiden: so
würde es doch vor dem vornehmsten und
schönsten Kinde den Vorzug haben, wenn sich
dieß unhöflich und unbescheiden aufführte.

Der Junker Franz von Schönhausen war
ein bildschönes Kind -- hatte prächtige und
mit Tressen besetzte Kleider -- war aber ge-
gen andere Kinder, besonders bürgerliche, ein
rechter Grobian. Denn der Adelstolz steckte
ihm schon im Kopfe. Seine Unhöflichkeit und
Unbescheidenheit zeigte sich dann am meisten,
wenn Fremde da waren. Er grüßte sie nicht.
Er dankte ihnen nicht. Er sahe sie kaum beym
Wege an, zumal wenn es keine Adeliche waren.

Sie haben wohl zu Weihnachten schöne
Sachen bekommen, junger Herr? fragte ihn

neulich

Wenn aber ein Kind noch ſo haͤßlich aus-
ſaͤhe, daß die Pocken z. E. ſein Geſicht ganz
verdorben haͤtten; waͤre es auch ein armes.
Bettelkind in zerriſſenen und zerlumpten Klei-
dern; es waͤre aber hoͤflich und beſcheiden: ſo
wuͤrde es doch vor dem vornehmſten und
ſchoͤnſten Kinde den Vorzug haben, wenn ſich
dieß unhoͤflich und unbeſcheiden auffuͤhrte.

Der Junker Franz von Schoͤnhauſen war
ein bildſchoͤnes Kind — hatte praͤchtige und
mit Treſſen beſetzte Kleider — war aber ge-
gen andere Kinder, beſonders buͤrgerliche, ein
rechter Grobian. Denn der Adelſtolz ſteckte
ihm ſchon im Kopfe. Seine Unhoͤflichkeit und
Unbeſcheidenheit zeigte ſich dann am meiſten,
wenn Fremde da waren. Er gruͤßte ſie nicht.
Er dankte ihnen nicht. Er ſahe ſie kaum beym
Wege an, zumal wenn es keine Adeliche waren.

Sie haben wohl zu Weihnachten ſchoͤne
Sachen bekommen, junger Herr? fragte ihn

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[140/0162] Wenn aber ein Kind noch ſo haͤßlich aus- ſaͤhe, daß die Pocken z. E. ſein Geſicht ganz verdorben haͤtten; waͤre es auch ein armes. Bettelkind in zerriſſenen und zerlumpten Klei- dern; es waͤre aber hoͤflich und beſcheiden: ſo wuͤrde es doch vor dem vornehmſten und ſchoͤnſten Kinde den Vorzug haben, wenn ſich dieß unhoͤflich und unbeſcheiden auffuͤhrte. Der Junker Franz von Schoͤnhauſen war ein bildſchoͤnes Kind — hatte praͤchtige und mit Treſſen beſetzte Kleider — war aber ge- gen andere Kinder, beſonders buͤrgerliche, ein rechter Grobian. Denn der Adelſtolz ſteckte ihm ſchon im Kopfe. Seine Unhoͤflichkeit und Unbeſcheidenheit zeigte ſich dann am meiſten, wenn Fremde da waren. Er gruͤßte ſie nicht. Er dankte ihnen nicht. Er ſahe ſie kaum beym Wege an, zumal wenn es keine Adeliche waren. Sie haben wohl zu Weihnachten ſchoͤne Sachen bekommen, junger Herr? fragte ihn neulich

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Zitationshilfe: Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/162>, abgerufen am 28.03.2024.