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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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zu nehmen, ich erhub die Stimme, indem ich die
Rede gegen ihn wandte. Man predigt gegen so
viele Laster, sagt ich, ich habe noch nie gehört daß
man gegen die üble Laune vom Predigtstuhle ge-
arbeitet hätte *) -- Das müßten die Stadtpfar-
rer thun, sagt er, die Bauern haben keinen bösen
Humor, doch könnts auch nichts schaden zuweilen-
es wäre eine Lektion für seine Frau wenigstens,
und den Herrn Amtmann. Die Gesellschaft lach-
te und er herzlich mit, bis er in einen Husten
verfiel, der unsern Diskurs eine Zeitlang unterbrach,
darauf denn der junge Mensch wieder das Wort
nahm: Sie nannten den bösen Humor ein La-
ster, mich däucht, das ist übertrieben. -- Mit
nichten gab ich zur Antwort, wenn das, womit
man sich selbst und seinen Nächsten schadet, den
Namen verdient. Jst es nicht genug, daß wir
einander nicht glüklich machen können, müssen wir
auch noch einander das Vergnügen rauben, das je-
des Herz sich noch manchmal selbst gewähren kann.

Und
*) Wir haben nun von Lavatern eine trefliche
Predigt hierüber unter denen über das Buch
Jonas.



zu nehmen, ich erhub die Stimme, indem ich die
Rede gegen ihn wandte. Man predigt gegen ſo
viele Laſter, ſagt ich, ich habe noch nie gehoͤrt daß
man gegen die uͤble Laune vom Predigtſtuhle ge-
arbeitet haͤtte *) — Das muͤßten die Stadtpfar-
rer thun, ſagt er, die Bauern haben keinen boͤſen
Humor, doch koͤnnts auch nichts ſchaden zuweilen-
es waͤre eine Lektion fuͤr ſeine Frau wenigſtens,
und den Herrn Amtmann. Die Geſellſchaft lach-
te und er herzlich mit, bis er in einen Huſten
verfiel, der unſern Diskurs eine Zeitlang unterbrach,
darauf denn der junge Menſch wieder das Wort
nahm: Sie nannten den boͤſen Humor ein La-
ſter, mich daͤucht, das iſt uͤbertrieben. — Mit
nichten gab ich zur Antwort, wenn das, womit
man ſich ſelbſt und ſeinen Naͤchſten ſchadet, den
Namen verdient. Jſt es nicht genug, daß wir
einander nicht gluͤklich machen koͤnnen, muͤſſen wir
auch noch einander das Vergnuͤgen rauben, das je-
des Herz ſich noch manchmal ſelbſt gewaͤhren kann.

Und
*) Wir haben nun von Lavatern eine trefliche
Predigt hieruͤber unter denen uͤber das Buch
Jonas.
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[56/0056] zu nehmen, ich erhub die Stimme, indem ich die Rede gegen ihn wandte. Man predigt gegen ſo viele Laſter, ſagt ich, ich habe noch nie gehoͤrt daß man gegen die uͤble Laune vom Predigtſtuhle ge- arbeitet haͤtte *) — Das muͤßten die Stadtpfar- rer thun, ſagt er, die Bauern haben keinen boͤſen Humor, doch koͤnnts auch nichts ſchaden zuweilen- es waͤre eine Lektion fuͤr ſeine Frau wenigſtens, und den Herrn Amtmann. Die Geſellſchaft lach- te und er herzlich mit, bis er in einen Huſten verfiel, der unſern Diskurs eine Zeitlang unterbrach, darauf denn der junge Menſch wieder das Wort nahm: Sie nannten den boͤſen Humor ein La- ſter, mich daͤucht, das iſt uͤbertrieben. — Mit nichten gab ich zur Antwort, wenn das, womit man ſich ſelbſt und ſeinen Naͤchſten ſchadet, den Namen verdient. Jſt es nicht genug, daß wir einander nicht gluͤklich machen koͤnnen, muͤſſen wir auch noch einander das Vergnuͤgen rauben, das je- des Herz ſich noch manchmal ſelbſt gewaͤhren kann. Und *) Wir haben nun von Lavatern eine trefliche Predigt hieruͤber unter denen uͤber das Buch Jonas.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/56>, abgerufen am 18.04.2024.