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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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Wie ich mich unter dem Gespräche in den
schwarzen Augen weidete, wie die lebendigen Lip-
pen und die frischen muntern Wangen meine gan-
ze Seele anzogen, wie ich in den herrlichen
Sinn ihrer Rede ganz versunken, oft gar die Wor-
te nicht hörte, mit denen sie sich ausdrukte! Da-
von hast du eine Vorstellung, weil du mich kennst.
Kurz, ich stieg aus dem Wagen wie ein Träumen-
der, als wir vor dem Lusthause still hielten, und
war so in Träumen rings in der dämmernden
Welt verlohren, daß ich auf die Musik kaum ach-
tete, die uns von dem erleuchteten Saale herun-
ter entgegen schallte.

Die zwey Herren Audran und ein gewisser
N. N. wer behält all die Nahmen! die der Baa-
se und Lottens Tänzer waren, empfiengen uns am
Schlage, bemächtigten sich ihrer Frauenzimmer und
ich führte die meinige hinauf.

Wir schlangen uns in Menuets um einan-
der herum, ich forderte ein Frauenzimmer nach
dem andern auf, und just die unleidlichsten konn-
ten nicht dazu kommen, einem die Hand zu rei-
chen, und ein Ende zu machen. Lotte und ihr

Tänzer


Wie ich mich unter dem Geſpraͤche in den
ſchwarzen Augen weidete, wie die lebendigen Lip-
pen und die friſchen muntern Wangen meine gan-
ze Seele anzogen, wie ich in den herrlichen
Sinn ihrer Rede ganz verſunken, oft gar die Wor-
te nicht hoͤrte, mit denen ſie ſich ausdrukte! Da-
von haſt du eine Vorſtellung, weil du mich kennſt.
Kurz, ich ſtieg aus dem Wagen wie ein Traͤumen-
der, als wir vor dem Luſthauſe ſtill hielten, und
war ſo in Traͤumen rings in der daͤmmernden
Welt verlohren, daß ich auf die Muſik kaum ach-
tete, die uns von dem erleuchteten Saale herun-
ter entgegen ſchallte.

Die zwey Herren Audran und ein gewiſſer
N. N. wer behaͤlt all die Nahmen! die der Baa-
ſe und Lottens Taͤnzer waren, empfiengen uns am
Schlage, bemaͤchtigten ſich ihrer Frauenzimmer und
ich fuͤhrte die meinige hinauf.

Wir ſchlangen uns in Menuets um einan-
der herum, ich forderte ein Frauenzimmer nach
dem andern auf, und juſt die unleidlichſten konn-
ten nicht dazu kommen, einem die Hand zu rei-
chen, und ein Ende zu machen. Lotte und ihr

Taͤnzer
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[36/0036] Wie ich mich unter dem Geſpraͤche in den ſchwarzen Augen weidete, wie die lebendigen Lip- pen und die friſchen muntern Wangen meine gan- ze Seele anzogen, wie ich in den herrlichen Sinn ihrer Rede ganz verſunken, oft gar die Wor- te nicht hoͤrte, mit denen ſie ſich ausdrukte! Da- von haſt du eine Vorſtellung, weil du mich kennſt. Kurz, ich ſtieg aus dem Wagen wie ein Traͤumen- der, als wir vor dem Luſthauſe ſtill hielten, und war ſo in Traͤumen rings in der daͤmmernden Welt verlohren, daß ich auf die Muſik kaum ach- tete, die uns von dem erleuchteten Saale herun- ter entgegen ſchallte. Die zwey Herren Audran und ein gewiſſer N. N. wer behaͤlt all die Nahmen! die der Baa- ſe und Lottens Taͤnzer waren, empfiengen uns am Schlage, bemaͤchtigten ſich ihrer Frauenzimmer und ich fuͤhrte die meinige hinauf. Wir ſchlangen uns in Menuets um einan- der herum, ich forderte ein Frauenzimmer nach dem andern auf, und juſt die unleidlichſten konn- ten nicht dazu kommen, einem die Hand zu rei- chen, und ein Ende zu machen. Lotte und ihr Taͤnzer

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/36>, abgerufen am 20.04.2024.