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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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nehmen, mit meiner Tänzerinn und ihrer Baase
nach dem Orte der Lustbarkeit hinausfahren, und
auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen sollte.
Sie werden ein schönes Frauenzimmer kennen ler-
nen, sagte meine Gesellschafterinn, da wir durch
den weiten schön ausgehauenen Wald nach dem
Jagdhause fuhren. Nehmen sie sich in Acht, ver-
sezte die Baase, daß Sie sich nicht verlieben!
Wie so? sagt' ich: Sie ist schon vergeben, ant-
wortete jene, an einen sehr braven Mann, der
weggereist ist, seine Sachen in Ordnung zu brin-
gen nach seines Vaters Tod, und sich um eine
ansehnliche Versorgung zu bewerben. Die Nach-
richt war mir ziemlich gleichgültig.

Die Sonne war noch eine Viertelstunde
vom Gebürge, als wir vor dem Hofthore anfuh-
ren, es war sehr schwühle, und die Frauenzimmer
äusserten ihre Besorgniß wegen eines Gewitters,
das sich in weisgrauen dumpfigen Wölkchen rings
am Horizonte zusammen zu ziehen schien. Jch
täuschte ihre Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde,

ob



nehmen, mit meiner Taͤnzerinn und ihrer Baaſe
nach dem Orte der Luſtbarkeit hinausfahren, und
auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen ſollte.
Sie werden ein ſchoͤnes Frauenzimmer kennen ler-
nen, ſagte meine Geſellſchafterinn, da wir durch
den weiten ſchoͤn ausgehauenen Wald nach dem
Jagdhauſe fuhren. Nehmen ſie ſich in Acht, ver-
ſezte die Baaſe, daß Sie ſich nicht verlieben!
Wie ſo? ſagt’ ich: Sie iſt ſchon vergeben, ant-
wortete jene, an einen ſehr braven Mann, der
weggereiſt iſt, ſeine Sachen in Ordnung zu brin-
gen nach ſeines Vaters Tod, und ſich um eine
anſehnliche Verſorgung zu bewerben. Die Nach-
richt war mir ziemlich gleichguͤltig.

Die Sonne war noch eine Viertelſtunde
vom Gebuͤrge, als wir vor dem Hofthore anfuh-
ren, es war ſehr ſchwuͤhle, und die Frauenzimmer
aͤuſſerten ihre Beſorgniß wegen eines Gewitters,
das ſich in weisgrauen dumpfigen Woͤlkchen rings
am Horizonte zuſammen zu ziehen ſchien. Jch
taͤuſchte ihre Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde,

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[29/0029] nehmen, mit meiner Taͤnzerinn und ihrer Baaſe nach dem Orte der Luſtbarkeit hinausfahren, und auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen ſollte. Sie werden ein ſchoͤnes Frauenzimmer kennen ler- nen, ſagte meine Geſellſchafterinn, da wir durch den weiten ſchoͤn ausgehauenen Wald nach dem Jagdhauſe fuhren. Nehmen ſie ſich in Acht, ver- ſezte die Baaſe, daß Sie ſich nicht verlieben! Wie ſo? ſagt’ ich: Sie iſt ſchon vergeben, ant- wortete jene, an einen ſehr braven Mann, der weggereiſt iſt, ſeine Sachen in Ordnung zu brin- gen nach ſeines Vaters Tod, und ſich um eine anſehnliche Verſorgung zu bewerben. Die Nach- richt war mir ziemlich gleichguͤltig. Die Sonne war noch eine Viertelſtunde vom Gebuͤrge, als wir vor dem Hofthore anfuh- ren, es war ſehr ſchwuͤhle, und die Frauenzimmer aͤuſſerten ihre Beſorgniß wegen eines Gewitters, das ſich in weisgrauen dumpfigen Woͤlkchen rings am Horizonte zuſammen zu ziehen ſchien. Jch taͤuſchte ihre Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde, ob

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/29>, abgerufen am 24.04.2024.