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Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.

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§. 35.

Mit mehrerer Aufmerksamkeit haben wir den
oben schon angeführten Fall zu beobachten, wo
der Uebergang zum Blüthenstande langsam vorgeht,
die Stengelblätter nach und nach sich zusammen-
ziehen, sich verändern, und sich sachte in den
Kelch gleichsam einschleichen, wie man solches
bey Kelchen der Strahlenblumen, besonders der
Sonnenblumen, der Calendeln, gar leicht beobach-
ten kann.

§. 36.

Diese Kraft der Natur, welche mehrere Blätter
um eine Axe versammlet, sehen wir eine noch
innigere Verbindung bewirken und sogar diese
zusammengebrachten modificirten Blätter noch
unkenntlicher machen, indem sie solche unter
einander manchmal ganz, oft aber nur zum Theil
verbindet, und an ihren Seiten zusammengewachsen
hervorbringt. Die so nahe an einander gerückten
und gedrängten Blätter berühren sich auf das
genauste in ihrem zarten Zustande, anastomosiren
sich durch die Einwirkung der höchst reinen, in
der Pflanze nunmehr gegenwärtigen Säfte, und


§. 35.

Mit mehrerer Aufmerkſamkeit haben wir den
oben ſchon angeführten Fall zu beobachten, wo
der Uebergang zum Blüthenſtande langſam vorgeht,
die Stengelblätter nach und nach ſich zuſammen-
ziehen, ſich verändern, und ſich ſachte in den
Kelch gleichſam einſchleichen, wie man ſolches
bey Kelchen der Strahlenblumen, beſonders der
Sonnenblumen, der Calendeln, gar leicht beobach-
ten kann.

§. 36.

Dieſe Kraft der Natur, welche mehrere Blätter
um eine Axe verſammlet, ſehen wir eine noch
innigere Verbindung bewirken und ſogar dieſe
zuſammengebrachten modificirten Blätter noch
unkenntlicher machen, indem ſie ſolche unter
einander manchmal ganz, oft aber nur zum Theil
verbindet, und an ihren Seiten zuſammengewachſen
hervorbringt. Die ſo nahe an einander gerückten
und gedrängten Blätter berühren ſich auf das
genauſte in ihrem zarten Zuſtande, anaſtomoſiren
ſich durch die Einwirkung der höchſt reinen, in
der Pflanze nunmehr gegenwärtigen Säfte, und

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[23/0038] §. 35. Mit mehrerer Aufmerkſamkeit haben wir den oben ſchon angeführten Fall zu beobachten, wo der Uebergang zum Blüthenſtande langſam vorgeht, die Stengelblätter nach und nach ſich zuſammen- ziehen, ſich verändern, und ſich ſachte in den Kelch gleichſam einſchleichen, wie man ſolches bey Kelchen der Strahlenblumen, beſonders der Sonnenblumen, der Calendeln, gar leicht beobach- ten kann. §. 36. Dieſe Kraft der Natur, welche mehrere Blätter um eine Axe verſammlet, ſehen wir eine noch innigere Verbindung bewirken und ſogar dieſe zuſammengebrachten modificirten Blätter noch unkenntlicher machen, indem ſie ſolche unter einander manchmal ganz, oft aber nur zum Theil verbindet, und an ihren Seiten zuſammengewachſen hervorbringt. Die ſo nahe an einander gerückten und gedrängten Blätter berühren ſich auf das genauſte in ihrem zarten Zuſtande, anaſtomoſiren ſich durch die Einwirkung der höchſt reinen, in der Pflanze nunmehr gegenwärtigen Säfte, und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/38>, abgerufen am 20.04.2024.