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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Iphigenie auf Tauris
Mit meinem Leben völlig enden soll.
Wie leicht wird's mir, dem eine Götterhand
Das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt,
Dem schönen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus Enkel in der Schlacht
Ein siegbekröntes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opferthier im Jammertode bluten:
So sey es! Besser hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmörder stellt.
Laßt mir so lange Ruh', ihr Unterird'schen,
Die nach dem Blut' ihr, das von meinen Tritten
Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelaßne Hunde spürend hetzt.
Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich.
Der Erde schöner grüner Teppich soll
Kein Tummelplatz für Larven seyn. Dort unten
Such' ich euch auf: dort bindet alle dann
Ein gleich Geschick in ew'ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
Iphigenie auf Tauris
Mit meinem Leben völlig enden ſoll.
Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand
Das Herz zuſammendrückt, den Sinn betäubt,
Dem ſchönen Licht der Sonne zu entſagen.
Und ſollen Atreus Enkel in der Schlacht
Ein ſiegbekröntes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opferthier im Jammertode bluten:
So ſey es! Beſſer hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmörder ſtellt.
Laßt mir ſo lange Ruh’, ihr Unterird’ſchen,
Die nach dem Blut’ ihr, das von meinen Tritten
Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelaßne Hunde ſpürend hetzt.
Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags ſoll euch nicht ſehn, noch mich.
Der Erde ſchöner grüner Teppich ſoll
Kein Tummelplatz für Larven ſeyn. Dort unten
Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann
Ein gleich Geſchick in ew’ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
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[36/0045] Iphigenie auf Tauris Mit meinem Leben völlig enden ſoll. Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand Das Herz zuſammendrückt, den Sinn betäubt, Dem ſchönen Licht der Sonne zu entſagen. Und ſollen Atreus Enkel in der Schlacht Ein ſiegbekröntes Ende nicht gewinnen; Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater Als Opferthier im Jammertode bluten: So ſey es! Beſſer hier vor dem Altar, Als im verworfnen Winkel, wo die Netze Der nahverwandte Meuchelmörder ſtellt. Laßt mir ſo lange Ruh’, ihr Unterird’ſchen, Die nach dem Blut’ ihr, das von meinen Tritten Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet, Wie losgelaßne Hunde ſpürend hetzt. Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab; Das Licht des Tags ſoll euch nicht ſehn, noch mich. Der Erde ſchöner grüner Teppich ſoll Kein Tummelplatz für Larven ſeyn. Dort unten Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann Ein gleich Geſchick in ew’ge matte Nacht. Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/45>, abgerufen am 29.03.2024.