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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Iphigenie auf Tauris
Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.
Dem füllet er die Brust mit Wuth und Rache
Und sendet ihn zur Königsstadt, daß er
Im Oheim seinen eignen Vater morde.
Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt; der König
Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend
Er tödte seines Bruders Sohn. Zu spät
Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen
Gemartert stirbt; und die Begier der Rache
Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still
Auf unerhörte That. Er scheint gelassen,
Gleichgültig und versöhnt, und lockt den Bruder
Mit seinen beyden Söhnen in das Reich
Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie
Und setzt die ekle schaudervolle Speise
Dem Vater bey dem ersten Mahle vor.
Und da Thyest an seinem Fleische sich
Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,
Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die
Stimme
Der Knaben an des Saales Thüre schon
Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend
Ihm Haupt und Füße der Erschlagnen hin.
Iphigenie auf Tauris
Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen.
Dem füllet er die Bruſt mit Wuth und Rache
Und ſendet ihn zur Königsſtadt, daß er
Im Oheim ſeinen eignen Vater morde.
Des Jünglings Vorſatz wird entdeckt; der König
Straft grauſam den geſandten Mörder, wähnend
Er tödte ſeines Bruders Sohn. Zu ſpät
Erfährt er, wer vor ſeinen trunknen Augen
Gemartert ſtirbt; und die Begier der Rache
Aus ſeiner Bruſt zu tilgen, ſinnt er ſtill
Auf unerhörte That. Er ſcheint gelaſſen,
Gleichgültig und verſöhnt, und lockt den Bruder
Mit ſeinen beyden Söhnen in das Reich
Zurück, ergreift die Knaben, ſchlachtet ſie
Und ſetzt die ekle ſchaudervolle Speiſe
Dem Vater bey dem erſten Mahle vor.
Und da Thyeſt an ſeinem Fleiſche ſich
Geſättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,
Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die
Stimme
Der Knaben an des Saales Thüre ſchon
Zu hören glaubt, wirft Atreus grinſend
Ihm Haupt und Füße der Erſchlagnen hin.
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[24/0033] Iphigenie auf Tauris Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen. Dem füllet er die Bruſt mit Wuth und Rache Und ſendet ihn zur Königsſtadt, daß er Im Oheim ſeinen eignen Vater morde. Des Jünglings Vorſatz wird entdeckt; der König Straft grauſam den geſandten Mörder, wähnend Er tödte ſeines Bruders Sohn. Zu ſpät Erfährt er, wer vor ſeinen trunknen Augen Gemartert ſtirbt; und die Begier der Rache Aus ſeiner Bruſt zu tilgen, ſinnt er ſtill Auf unerhörte That. Er ſcheint gelaſſen, Gleichgültig und verſöhnt, und lockt den Bruder Mit ſeinen beyden Söhnen in das Reich Zurück, ergreift die Knaben, ſchlachtet ſie Und ſetzt die ekle ſchaudervolle Speiſe Dem Vater bey dem erſten Mahle vor. Und da Thyeſt an ſeinem Fleiſche ſich Geſättigt, eine Wehmuth ihn ergreift, Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme Der Knaben an des Saales Thüre ſchon Zu hören glaubt, wirft Atreus grinſend Ihm Haupt und Füße der Erſchlagnen hin.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/33>, abgerufen am 23.04.2024.