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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Iphigenie auf Tauris
Iphigenie.
Zwar die gewalt'ge Brust und der Titanen
Kraftvolles Mark war seiner Söhn' und Enkel
Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete
Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.
Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld
Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;
Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,
Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.
Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,
Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb
Sich durch Verrath und Mord das schönste
Weib,
Des Önomaus Tochter, Hippodamien.
Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwey
Söhne,
Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie
Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn
Aus einem andern Bette wachsend an.
Der Haß verbindet sie, und heimlich wagt
Das Paar im Brudermord die erste That.
Der Vater wähnet Hippodamien
Die Mörderinn, und grimmig fordert er
Iphigenie auf Tauris
Iphigenie.
Zwar die gewalt’ge Bruſt und der Titanen
Kraftvolles Mark war ſeiner Söhn’ und Enkel
Gewiſſes Erbtheil; doch es ſchmiedete
Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.
Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld
Verbarg er ihrem ſcheuen düſtern Blick;
Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,
Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.
Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,
Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb
Sich durch Verrath und Mord das ſchönſte
Weib,
Des Önomaus Tochter, Hippodamien.
Sie bringt den Wünſchen des Gemahls zwey
Söhne,
Thyeſt und Atreus. Neidiſch ſehen ſie
Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn
Aus einem andern Bette wachſend an.
Der Haß verbindet ſie, und heimlich wagt
Das Paar im Brudermord die erſte That.
Der Vater wähnet Hippodamien
Die Mörderinn, und grimmig fordert er
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[22/0031] Iphigenie auf Tauris Iphigenie. Zwar die gewalt’ge Bruſt und der Titanen Kraftvolles Mark war ſeiner Söhn’ und Enkel Gewiſſes Erbtheil; doch es ſchmiedete Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band. Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld Verbarg er ihrem ſcheuen düſtern Blick; Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier, Und gränzenlos drang ihre Wuth umher. Schon Pelops, der Gewaltig-wollende, Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb Sich durch Verrath und Mord das ſchönſte Weib, Des Önomaus Tochter, Hippodamien. Sie bringt den Wünſchen des Gemahls zwey Söhne, Thyeſt und Atreus. Neidiſch ſehen ſie Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn Aus einem andern Bette wachſend an. Der Haß verbindet ſie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erſte That. Der Vater wähnet Hippodamien Die Mörderinn, und grimmig fordert er

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/31>, abgerufen am 20.04.2024.