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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Ein Schauspiel.
Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben
Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt.
Als dich ein tief-geheimnißvolles Schicksal
Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte,
Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb'nen
Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen.
Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich,
Das jedem Fremden sonst voll Grausens war,
Weil niemand unser Reich vor dir betrat,
Der an Dianens heil'gen Stufen nicht
Nach altem Brauch, ein blut'ges Opfer, fiel.
Iphigenie.
Frey athmen macht das Leben nicht allein.
Welch Leben ist's, das an der heil'gen Stäte,
Gleich einem Schatten um sein eigen Grab,
Ich nur vertrauern muß? Und nenn' ich das
Ein fröhlich selbstbewußtes Leben, wenn
Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt,
Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,
Die an dem Ufer Lethe's, selbstvergessend,
Die Trauerschaar der Abgeschiednen feiert?
Ein unnütz Leben ist ein früher Tod;
Dieß Frauenschicksal ist vor allen mein's.
Ein Schauſpiel.
Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben
Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt.
Als dich ein tief-geheimnißvolles Schickſal
Vor ſo viel Jahren dieſem Tempel brachte,
Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb’nen
Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen.
Und dieſes Ufer ward dir hold und freundlich,
Das jedem Fremden ſonſt voll Grauſens war,
Weil niemand unſer Reich vor dir betrat,
Der an Dianens heil’gen Stufen nicht
Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel.
Iphigenie.
Frey athmen macht das Leben nicht allein.
Welch Leben iſt’s, das an der heil’gen Stäte,
Gleich einem Schatten um ſein eigen Grab,
Ich nur vertrauern muß? Und nenn’ ich das
Ein fröhlich ſelbſtbewußtes Leben, wenn
Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt,
Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,
Die an dem Ufer Lethe’s, ſelbſtvergeſſend,
Die Trauerſchaar der Abgeſchiednen feiert?
Ein unnütz Leben iſt ein früher Tod;
Dieß Frauenſchickſal iſt vor allen mein’s.
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[9/0018] Ein Schauſpiel. Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt. Als dich ein tief-geheimnißvolles Schickſal Vor ſo viel Jahren dieſem Tempel brachte, Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb’nen Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen. Und dieſes Ufer ward dir hold und freundlich, Das jedem Fremden ſonſt voll Grauſens war, Weil niemand unſer Reich vor dir betrat, Der an Dianens heil’gen Stufen nicht Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel. Iphigenie. Frey athmen macht das Leben nicht allein. Welch Leben iſt’s, das an der heil’gen Stäte, Gleich einem Schatten um ſein eigen Grab, Ich nur vertrauern muß? Und nenn’ ich das Ein fröhlich ſelbſtbewußtes Leben, wenn Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt, Zu jenen grauen Tagen vorbereitet, Die an dem Ufer Lethe’s, ſelbſtvergeſſend, Die Trauerſchaar der Abgeſchiednen feiert? Ein unnütz Leben iſt ein früher Tod; Dieß Frauenſchickſal iſt vor allen mein’s.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/18>, abgerufen am 23.04.2024.