Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

das Erregende des actu Durchsichtigen ist. Der actus
des Durchsichtigen aber ist das Licht. Ein offenbarer
Beweis davon ist: Wenn jemand etwas Farbiges auf
das Auge selbst legt, so sieht er es nicht; sondern die
Farbe erregt das Durchsichtige, die Luft; von dieser aber,
die ein continuum ist, wird das Gesichtsorgan erregt.
Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der
Zwischenraum leer wäre, so würde man auch eine
Ameise am Himmel genau sehen können. Denn dieß
ist unmöglich. Denn nur dadurch, daß das Gesichts-
organ etwas erleidet, geschieht das Sehen. Von der
gesehenen Farbe selbst kann jenes nicht erfolgen; es
bleibt also nur übrig, daß es von dem, was zwischen
ist (dem Medium), geschehe. Darum muß nothwendig
etwas zwischen seyn. Wäre der Zwischenraum leer, so
würde die Ameise nicht nur nicht genau, sondern ganz
und gar nicht gesehen werden können.

Warum nun die Farbe nothwendig im Licht gese-
hen werden muß, ist gesagt. Das Feuer aber wird
in beyden gesehen, im Licht und in der Finsterniß;
und dieß nothwendiger Weise. Denn das Durchsichtige
wird dadurch durchsichtig. Dieselbe Bewandniß hat es
mit dem Schall und mit dem Geruch.

Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar
das Organ berührt, bringt eine Empfindung hervor;
sondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium
bewegt werden, und durch dieses erst das Organ für
Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein
Schallendes oder Riechendes bringt; so entsteht durch-
aus keine Empfindung. Auf gleiche Weise verhält es

das Erregende des actu Durchſichtigen iſt. Der actus
des Durchſichtigen aber iſt das Licht. Ein offenbarer
Beweis davon iſt: Wenn jemand etwas Farbiges auf
das Auge ſelbſt legt, ſo ſieht er es nicht; ſondern die
Farbe erregt das Durchſichtige, die Luft; von dieſer aber,
die ein continuum iſt, wird das Geſichtsorgan erregt.
Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der
Zwiſchenraum leer waͤre, ſo wuͤrde man auch eine
Ameiſe am Himmel genau ſehen koͤnnen. Denn dieß
iſt unmoͤglich. Denn nur dadurch, daß das Geſichts-
organ etwas erleidet, geſchieht das Sehen. Von der
geſehenen Farbe ſelbſt kann jenes nicht erfolgen; es
bleibt alſo nur uͤbrig, daß es von dem, was zwiſchen
iſt (dem Medium), geſchehe. Darum muß nothwendig
etwas zwiſchen ſeyn. Waͤre der Zwiſchenraum leer, ſo
wuͤrde die Ameiſe nicht nur nicht genau, ſondern ganz
und gar nicht geſehen werden koͤnnen.

Warum nun die Farbe nothwendig im Licht geſe-
hen werden muß, iſt geſagt. Das Feuer aber wird
in beyden geſehen, im Licht und in der Finſterniß;
und dieß nothwendiger Weiſe. Denn das Durchſichtige
wird dadurch durchſichtig. Dieſelbe Bewandniß hat es
mit dem Schall und mit dem Geruch.

Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar
das Organ beruͤhrt, bringt eine Empfindung hervor;
ſondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium
bewegt werden, und durch dieſes erſt das Organ fuͤr
Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein
Schallendes oder Riechendes bringt; ſo entſteht durch-
aus keine Empfindung. Auf gleiche Weiſe verhaͤlt es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="16"/>
das Erregende des <hi rendition="#aq">actu</hi> Durch&#x017F;ichtigen i&#x017F;t. Der <hi rendition="#aq">actus</hi><lb/>
des Durch&#x017F;ichtigen aber i&#x017F;t das Licht. Ein offenbarer<lb/>
Beweis davon i&#x017F;t: Wenn jemand etwas Farbiges auf<lb/>
das Auge &#x017F;elb&#x017F;t legt, &#x017F;o &#x017F;ieht er es nicht; &#x017F;ondern die<lb/>
Farbe erregt das Durch&#x017F;ichtige, die Luft; von die&#x017F;er aber,<lb/>
die ein <hi rendition="#aq">continuum</hi> i&#x017F;t, wird das Ge&#x017F;ichtsorgan erregt.<lb/>
Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der<lb/>
Zwi&#x017F;chenraum leer wa&#x0364;re, &#x017F;o wu&#x0364;rde man auch eine<lb/>
Amei&#x017F;e am Himmel genau &#x017F;ehen ko&#x0364;nnen. Denn dieß<lb/>
i&#x017F;t unmo&#x0364;glich. Denn nur dadurch, daß das Ge&#x017F;ichts-<lb/>
organ etwas erleidet, ge&#x017F;chieht das Sehen. Von der<lb/>
ge&#x017F;ehenen Farbe &#x017F;elb&#x017F;t kann jenes nicht erfolgen; es<lb/>
bleibt al&#x017F;o nur u&#x0364;brig, daß es von dem, was zwi&#x017F;chen<lb/>
i&#x017F;t (dem Medium), ge&#x017F;chehe. Darum muß nothwendig<lb/>
etwas zwi&#x017F;chen &#x017F;eyn. Wa&#x0364;re der Zwi&#x017F;chenraum leer, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde die Amei&#x017F;e nicht nur nicht genau, &#x017F;ondern ganz<lb/>
und gar nicht ge&#x017F;ehen werden ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Warum nun die Farbe nothwendig im Licht ge&#x017F;e-<lb/>
hen werden muß, i&#x017F;t ge&#x017F;agt. Das Feuer aber wird<lb/>
in beyden ge&#x017F;ehen, im Licht und in der Fin&#x017F;terniß;<lb/>
und dieß nothwendiger Wei&#x017F;e. Denn das Durch&#x017F;ichtige<lb/>
wird dadurch durch&#x017F;ichtig. Die&#x017F;elbe Bewandniß hat es<lb/>
mit dem Schall und mit dem Geruch.</p><lb/>
          <p>Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar<lb/>
das Organ beru&#x0364;hrt, bringt eine Empfindung hervor;<lb/>
&#x017F;ondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium<lb/>
bewegt werden, und durch die&#x017F;es er&#x017F;t das Organ fu&#x0364;r<lb/>
Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein<lb/>
Schallendes oder Riechendes bringt; &#x017F;o ent&#x017F;teht durch-<lb/>
aus keine <choice><sic>Emp&#x017F;indung</sic><corr>Empfindung</corr></choice>. Auf gleiche Wei&#x017F;e verha&#x0364;lt es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0050] das Erregende des actu Durchſichtigen iſt. Der actus des Durchſichtigen aber iſt das Licht. Ein offenbarer Beweis davon iſt: Wenn jemand etwas Farbiges auf das Auge ſelbſt legt, ſo ſieht er es nicht; ſondern die Farbe erregt das Durchſichtige, die Luft; von dieſer aber, die ein continuum iſt, wird das Geſichtsorgan erregt. Daher hat Democritus unrecht, zu glauben, wenn der Zwiſchenraum leer waͤre, ſo wuͤrde man auch eine Ameiſe am Himmel genau ſehen koͤnnen. Denn dieß iſt unmoͤglich. Denn nur dadurch, daß das Geſichts- organ etwas erleidet, geſchieht das Sehen. Von der geſehenen Farbe ſelbſt kann jenes nicht erfolgen; es bleibt alſo nur uͤbrig, daß es von dem, was zwiſchen iſt (dem Medium), geſchehe. Darum muß nothwendig etwas zwiſchen ſeyn. Waͤre der Zwiſchenraum leer, ſo wuͤrde die Ameiſe nicht nur nicht genau, ſondern ganz und gar nicht geſehen werden koͤnnen. Warum nun die Farbe nothwendig im Licht geſe- hen werden muß, iſt geſagt. Das Feuer aber wird in beyden geſehen, im Licht und in der Finſterniß; und dieß nothwendiger Weiſe. Denn das Durchſichtige wird dadurch durchſichtig. Dieſelbe Bewandniß hat es mit dem Schall und mit dem Geruch. Denn keins von beyden, wenn es unmittelbar das Organ beruͤhrt, bringt eine Empfindung hervor; ſondern von Geruch und Schall muß zuvor das Medium bewegt werden, und durch dieſes erſt das Organ fuͤr Beyde. Wenn Jemand unmittelbar an das Organ ein Schallendes oder Riechendes bringt; ſo entſteht durch- aus keine Empfindung. Auf gleiche Weiſe verhaͤlt es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/50
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/50>, abgerufen am 18.04.2024.