Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬
stigsten Weise, eben auch willkührlich, ausgelegt.

In dem Lande Meklenburg, in seinen beiden Hälf¬
ten von oben herab sehr' ungleich bedacht, wo eine
Ordnung der Dinge, wie sie aus früheren Jahrhun¬
derten sich entwickelt hatte, beynahe unerschüttert fort¬
besteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬
gen unter sich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬
eigner dient; der freye Mittelstand aber noch nicht
die Macht erlangt, die Ansprüche geltend zu machen,
die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der
Dinge gemäß, der Eindruck dieser Zeit nur wenig
sichtbar seyn. Darum war dort bey der Huldigung
der alte Rechtsstand nur durch Handschlag bekräftigt
worden, und ein organisches Staatsgesetz der beiden
regierenden Häuser verfügte, wie es jetzt, da nach
Auflösung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬
schwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der
Landesherrschaft zu halten sey. Der einzige Wider¬
spruch, der gegen diese neubefestigte Ordnung der
Dinge sich erhob, mußte darum, weil er ohne alle
historische Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte,
auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in's Leere
sich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landstan¬
des: alle Schutzgenossen des Staates mit einem Schlage
in Mitgenossen zu verwandeln, die nun ihre Rechte
entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch
Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬
den Institute, die wechselweise sich bedingend, mitein¬
ander stehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬
gebührlich sich über die Mitte erhebe, und die Leib¬

hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬
ſtigſten Weiſe, eben auch willkührlich, ausgelegt.

In dem Lande Meklenburg, in ſeinen beiden Hälf¬
ten von oben herab ſehr' ungleich bedacht, wo eine
Ordnung der Dinge, wie ſie aus früheren Jahrhun¬
derten ſich entwickelt hatte, beynahe unerſchüttert fort¬
beſteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬
gen unter ſich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬
eigner dient; der freye Mittelſtand aber noch nicht
die Macht erlangt, die Anſprüche geltend zu machen,
die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der
Dinge gemäß, der Eindruck dieſer Zeit nur wenig
ſichtbar ſeyn. Darum war dort bey der Huldigung
der alte Rechtsſtand nur durch Handſchlag bekräftigt
worden, und ein organiſches Staatsgeſetz der beiden
regierenden Häuſer verfügte, wie es jetzt, da nach
Auflöſung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬
ſchwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der
Landesherrſchaft zu halten ſey. Der einzige Wider¬
ſpruch, der gegen dieſe neubefeſtigte Ordnung der
Dinge ſich erhob, mußte darum, weil er ohne alle
hiſtoriſche Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte,
auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in’s Leere
ſich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landſtan¬
des: alle Schutzgenoſſen des Staates mit einem Schlage
in Mitgenoſſen zu verwandeln, die nun ihre Rechte
entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch
Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬
den Inſtitute, die wechſelweiſe ſich bedingend, mitein¬
ander ſtehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬
gebührlich ſich über die Mitte erhebe, und die Leib¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0047" n="39"/>
hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬<lb/>
&#x017F;tig&#x017F;ten Wei&#x017F;e, eben auch willkührlich, ausgelegt.</p><lb/>
      <p>In dem Lande Meklenburg, in &#x017F;einen beiden Hälf¬<lb/>
ten von oben herab &#x017F;ehr' ungleich bedacht, wo eine<lb/>
Ordnung der Dinge, wie &#x017F;ie aus früheren Jahrhun¬<lb/>
derten &#x017F;ich entwickelt hatte, beynahe uner&#x017F;chüttert fort¬<lb/>
be&#x017F;teht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬<lb/>
gen unter &#x017F;ich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬<lb/>
eigner dient; der freye Mittel&#x017F;tand aber noch nicht<lb/>
die Macht erlangt, die An&#x017F;prüche geltend zu machen,<lb/>
die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der<lb/>
Dinge gemäß, der Eindruck die&#x017F;er Zeit nur wenig<lb/>
&#x017F;ichtbar &#x017F;eyn. Darum war dort bey der Huldigung<lb/>
der alte Rechts&#x017F;tand nur durch Hand&#x017F;chlag bekräftigt<lb/>
worden, und ein organi&#x017F;ches Staatsge&#x017F;etz der beiden<lb/>
regierenden Häu&#x017F;er verfügte, wie es jetzt, da nach<lb/>
Auflö&#x017F;ung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬<lb/>
&#x017F;chwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der<lb/>
Landesherr&#x017F;chaft zu halten &#x017F;ey. Der einzige Wider¬<lb/>
&#x017F;pruch, der gegen die&#x017F;e neubefe&#x017F;tigte Ordnung der<lb/>
Dinge &#x017F;ich erhob, mußte darum, weil er ohne alle<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte,<lb/>
auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in&#x2019;s Leere<lb/>
&#x017F;ich verlieren; und der naive Vortrag jenes Land&#x017F;tan¬<lb/>
des: alle Schutzgeno&#x017F;&#x017F;en des Staates mit einem Schlage<lb/>
in Mitgeno&#x017F;&#x017F;en zu verwandeln, die nun ihre Rechte<lb/>
entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch<lb/>
Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬<lb/>
den In&#x017F;titute, die wech&#x017F;elwei&#x017F;e &#x017F;ich bedingend, mitein¬<lb/>
ander &#x017F;tehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬<lb/>
gebührlich &#x017F;ich über die Mitte erhebe, und die Leib¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0047] hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬ ſtigſten Weiſe, eben auch willkührlich, ausgelegt. In dem Lande Meklenburg, in ſeinen beiden Hälf¬ ten von oben herab ſehr' ungleich bedacht, wo eine Ordnung der Dinge, wie ſie aus früheren Jahrhun¬ derten ſich entwickelt hatte, beynahe unerſchüttert fort¬ beſteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬ gen unter ſich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬ eigner dient; der freye Mittelſtand aber noch nicht die Macht erlangt, die Anſprüche geltend zu machen, die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der Dinge gemäß, der Eindruck dieſer Zeit nur wenig ſichtbar ſeyn. Darum war dort bey der Huldigung der alte Rechtsſtand nur durch Handſchlag bekräftigt worden, und ein organiſches Staatsgeſetz der beiden regierenden Häuſer verfügte, wie es jetzt, da nach Auflöſung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬ ſchwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der Landesherrſchaft zu halten ſey. Der einzige Wider¬ ſpruch, der gegen dieſe neubefeſtigte Ordnung der Dinge ſich erhob, mußte darum, weil er ohne alle hiſtoriſche Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte, auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in’s Leere ſich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landſtan¬ des: alle Schutzgenoſſen des Staates mit einem Schlage in Mitgenoſſen zu verwandeln, die nun ihre Rechte entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬ den Inſtitute, die wechſelweiſe ſich bedingend, mitein¬ ander ſtehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬ gebührlich ſich über die Mitte erhebe, und die Leib¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/47
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/47>, abgerufen am 29.03.2024.