Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

schloß, die der Ständeversammlung keine Wahl übrig
ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Constitution
nur in constitutioneller Weise würdig gegründet, wie
geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬
heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtschaft
beginnen solle, wenig Gewähr für ihren Bestand dar¬
biete, verwarfen, als ein geistreicher Minister, der,
das erste Beyspiel in Teutschland, seine Meinungen
und Ansichten durch persönliche Gewandheit stattlich zu
vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten
versäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfassung
mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬
lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel
über mögliche künftige Anmaßungen sich zum voraus
nicht entzweyt, sondern einträchtig mit ihm den Kampf
mit dem Hof geführt.

Wenn die Vertheidiger der unbeschränkten Will¬
kühr über diesen Ausgang triumphirten, so hatten sie
nie und in keinem Dinge stärkere Kurzsichtigkeit be¬
wiesen. Zwey Constitutionen nacheinander, die Eine
ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptsächlich um
der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von
den Ständen an die Urversammlungen, und das sogar,
wie sich bald ausgewiesen, vergeblich appellirt; solche
Eintracht der Gesinnungen aller Interessirten in die¬
sem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß
der abgerissene Faden der Verhandlungen früh oder
spät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der
Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche
Sicherheit und Zuversicht die Sache des Volkes schon
gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die

ſchloß, die der Ständeverſammlung keine Wahl übrig
ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Conſtitution
nur in conſtitutioneller Weiſe würdig gegründet, wie
geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬
heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtſchaft
beginnen ſolle, wenig Gewähr für ihren Beſtand dar¬
biete, verwarfen, als ein geiſtreicher Miniſter, der,
das erſte Beyſpiel in Teutſchland, ſeine Meinungen
und Anſichten durch perſönliche Gewandheit ſtattlich zu
vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten
verſäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfaſſung
mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬
lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel
über mögliche künftige Anmaßungen ſich zum voraus
nicht entzweyt, ſondern einträchtig mit ihm den Kampf
mit dem Hof geführt.

Wenn die Vertheidiger der unbeſchränkten Will¬
kühr über dieſen Ausgang triumphirten, ſo hatten ſie
nie und in keinem Dinge ſtärkere Kurzſichtigkeit be¬
wieſen. Zwey Conſtitutionen nacheinander, die Eine
ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptſächlich um
der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von
den Ständen an die Urverſammlungen, und das ſogar,
wie ſich bald ausgewieſen, vergeblich appellirt; ſolche
Eintracht der Geſinnungen aller Intereſſirten in die¬
ſem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß
der abgeriſſene Faden der Verhandlungen früh oder
ſpät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der
Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche
Sicherheit und Zuverſicht die Sache des Volkes ſchon
gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0034" n="26"/>
&#x017F;chloß, die der Ständever&#x017F;ammlung keine Wahl übrig<lb/>
ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Con&#x017F;titution<lb/>
nur in con&#x017F;titutioneller Wei&#x017F;e würdig gegründet, wie<lb/>
geführt werden könne; und daß eine <hi rendition="#g">gebotene</hi> Frey¬<lb/>
heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knecht&#x017F;chaft<lb/>
beginnen &#x017F;olle, wenig Gewähr für ihren Be&#x017F;tand dar¬<lb/>
biete, verwarfen, als ein gei&#x017F;treicher Mini&#x017F;ter, der,<lb/>
das er&#x017F;te Bey&#x017F;piel in Teut&#x017F;chland, &#x017F;eine Meinungen<lb/>
und An&#x017F;ichten durch per&#x017F;önliche Gewandheit &#x017F;tattlich zu<lb/>
vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten<lb/>
ver&#x017F;äumt, zum zweytenmale die gebotene Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬<lb/>
lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel<lb/>
über mögliche künftige Anmaßungen &#x017F;ich zum voraus<lb/>
nicht entzweyt, &#x017F;ondern einträchtig mit ihm den Kampf<lb/>
mit dem Hof geführt.</p><lb/>
      <p>Wenn die Vertheidiger der unbe&#x017F;chränkten Will¬<lb/>
kühr über die&#x017F;en Ausgang triumphirten, &#x017F;o hatten &#x017F;ie<lb/>
nie und in keinem Dinge &#x017F;tärkere Kurz&#x017F;ichtigkeit be¬<lb/>
wie&#x017F;en. Zwey Con&#x017F;titutionen nacheinander, die Eine<lb/>
ihres Inhaltes wegen, die Andere haupt&#x017F;ächlich um<lb/>
der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von<lb/>
den Ständen an die Urver&#x017F;ammlungen, und das &#x017F;ogar,<lb/>
wie &#x017F;ich bald ausgewie&#x017F;en, vergeblich appellirt; &#x017F;olche<lb/>
Eintracht der Ge&#x017F;innungen aller Intere&#x017F;&#x017F;irten in die¬<lb/>
&#x017F;em Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß<lb/>
der abgeri&#x017F;&#x017F;ene Faden der Verhandlungen früh oder<lb/>
&#x017F;pät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der<lb/>
Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche<lb/>
Sicherheit und Zuver&#x017F;icht die Sache des Volkes &#x017F;chon<lb/>
gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0034] ſchloß, die der Ständeverſammlung keine Wahl übrig ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Conſtitution nur in conſtitutioneller Weiſe würdig gegründet, wie geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬ heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtſchaft beginnen ſolle, wenig Gewähr für ihren Beſtand dar¬ biete, verwarfen, als ein geiſtreicher Miniſter, der, das erſte Beyſpiel in Teutſchland, ſeine Meinungen und Anſichten durch perſönliche Gewandheit ſtattlich zu vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten verſäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfaſſung mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬ lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel über mögliche künftige Anmaßungen ſich zum voraus nicht entzweyt, ſondern einträchtig mit ihm den Kampf mit dem Hof geführt. Wenn die Vertheidiger der unbeſchränkten Will¬ kühr über dieſen Ausgang triumphirten, ſo hatten ſie nie und in keinem Dinge ſtärkere Kurzſichtigkeit be¬ wieſen. Zwey Conſtitutionen nacheinander, die Eine ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptſächlich um der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von den Ständen an die Urverſammlungen, und das ſogar, wie ſich bald ausgewieſen, vergeblich appellirt; ſolche Eintracht der Geſinnungen aller Intereſſirten in die¬ ſem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß der abgeriſſene Faden der Verhandlungen früh oder ſpät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche Sicherheit und Zuverſicht die Sache des Volkes ſchon gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/34
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/34>, abgerufen am 25.04.2024.