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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und
ihr Vertrauen sich erworben. Seither aus Gründen
zurückgetreten, die er zum Theil so eben berührt, hat
er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelassen, um
antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, stra¬
fend und ermunternd, je nach seiner Ueberzeugung
in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬
nes Vertrauens sich erweise. Nicht kennend Menschen¬
furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit
immer nur halb zu zeigen wagt, hat er seines Her¬
zens Gedanken immer unverholen ausgesprochen. Nur
die Wahrheit hat er gesucht, und wenn er nach be߬
tem Wissen sie gefunden, dann die Freyheit sich selbst
dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit ist ein
vergrabener Schatz, eine verschlossene Quelle, ein ver¬
siegelter Born, (Hohelied II. 12.). Freyheit ohne Wahr¬
heitsliebe aber ist unrecht Gut in eines Gottlosen Hause,
ein feindseliger geringer Epha (Micha, 27. 10.), der
höchsten Bosheit und feinsten Schalkheit Pallium und
Palladium, wie Hamann schon bemerkt. Wenig gebend
auf das, was man gemeinlich Menschenklugheit nennt,
aber keineswegs darum jener Höhern sich entziehend,
die mit jeder Einfalt sich verträgt, ist er gelassen seit¬
her nach menschlicher Möglichkeit auf dem Pfad des
Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem sich
überzeugt, daß diese Weise überall am schnellsten zum
Ziele führt. Mit Sicherheit einem Instinkte sich hin¬
gebend, der sich mehr als einmal ihm bewährt; nicht
grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder,
die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬
schauung der Verhältnisse hervorgegangen, außen ihre

letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und
ihr Vertrauen ſich erworben. Seither aus Gründen
zurückgetreten, die er zum Theil ſo eben berührt, hat
er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelaſſen, um
antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, ſtra¬
fend und ermunternd, je nach ſeiner Ueberzeugung
in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬
nes Vertrauens ſich erweiſe. Nicht kennend Menſchen¬
furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit
immer nur halb zu zeigen wagt, hat er ſeines Her¬
zens Gedanken immer unverholen ausgeſprochen. Nur
die Wahrheit hat er geſucht, und wenn er nach be߬
tem Wiſſen ſie gefunden, dann die Freyheit ſich ſelbſt
dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit iſt ein
vergrabener Schatz, eine verſchloſſene Quelle, ein ver¬
ſiegelter Born, (Hohelied II. 12.). Freyheit ohne Wahr¬
heitsliebe aber iſt unrecht Gut in eines Gottloſen Hauſe,
ein feindſeliger geringer Epha (Micha, 27. 10.), der
höchſten Bosheit und feinſten Schalkheit Pallium und
Palladium, wie Hamann ſchon bemerkt. Wenig gebend
auf das, was man gemeinlich Menſchenklugheit nennt,
aber keineswegs darum jener Höhern ſich entziehend,
die mit jeder Einfalt ſich verträgt, iſt er gelaſſen ſeit¬
her nach menſchlicher Möglichkeit auf dem Pfad des
Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem ſich
überzeugt, daß dieſe Weiſe überall am ſchnellſten zum
Ziele führt. Mit Sicherheit einem Inſtinkte ſich hin¬
gebend, der ſich mehr als einmal ihm bewährt; nicht
grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder,
die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬
ſchauung der Verhältniſſe hervorgegangen, außen ihre

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[6/0014] letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und ihr Vertrauen ſich erworben. Seither aus Gründen zurückgetreten, die er zum Theil ſo eben berührt, hat er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelaſſen, um antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, ſtra¬ fend und ermunternd, je nach ſeiner Ueberzeugung in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬ nes Vertrauens ſich erweiſe. Nicht kennend Menſchen¬ furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit immer nur halb zu zeigen wagt, hat er ſeines Her¬ zens Gedanken immer unverholen ausgeſprochen. Nur die Wahrheit hat er geſucht, und wenn er nach be߬ tem Wiſſen ſie gefunden, dann die Freyheit ſich ſelbſt dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit iſt ein vergrabener Schatz, eine verſchloſſene Quelle, ein ver¬ ſiegelter Born, (Hohelied II. 12.). Freyheit ohne Wahr¬ heitsliebe aber iſt unrecht Gut in eines Gottloſen Hauſe, ein feindſeliger geringer Epha (Micha, 27. 10.), der höchſten Bosheit und feinſten Schalkheit Pallium und Palladium, wie Hamann ſchon bemerkt. Wenig gebend auf das, was man gemeinlich Menſchenklugheit nennt, aber keineswegs darum jener Höhern ſich entziehend, die mit jeder Einfalt ſich verträgt, iſt er gelaſſen ſeit¬ her nach menſchlicher Möglichkeit auf dem Pfad des Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem ſich überzeugt, daß dieſe Weiſe überall am ſchnellſten zum Ziele führt. Mit Sicherheit einem Inſtinkte ſich hin¬ gebend, der ſich mehr als einmal ihm bewährt; nicht grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder, die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬ ſchauung der Verhältniſſe hervorgegangen, außen ihre

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/14>, abgerufen am 25.04.2024.