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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Festigkeit der Körper in Hinsicht auf Biegung.

Die bisherigen Beobachtungen zeigen, dass diese Ungleichheiten vorzüglich in fol-
genden Umständen ihren Grund haben. Der Stand des Baumes, ob er nämlich an einem
feuchten oder trockenen Orte gewachsen ist, dem Sonnenscheine, Wind und Wetter
mehr oder weniger ausgesetzt war, endlich auch die Zeit des Fällens üben einen wesentli-
chen Einfluss auf die Festigkeit der Hölzer aus. Ferner ist in jedem gesunden Baume das
Holz vom Kerne aus gewöhnlich sehr verschieden; dort wo die Jahresringe am dichtesten
sind, ist es am stärksten. Bei einem gesunden Stamme hat das Holz an der Wurzel mehr Fe-
stigkeit, als am Wipfel; wird endlich ein Holzstück so zerschnitten, dass die Holzringe
vertikal oder mit der Richtung der Last parallel laufen, so besitzt dasselbe mehr Festig-
keit, als wenn man die Holzringe wagerecht legt. Aus allen diesen Gründen kann man bei
Versuchen mit Holz keine solche Uibereinstimmung erwarten, als es bei dem Eisen und
andern Metallen der Fall ist. Aber auch bei dem Eisen geben die Versuche über die
Biegung desselben wegen der ungleichen Beschaffenheit unserer Eisenstäbe, worüber die
Gründe §. 276 angegeben wurden, ungleiche Resultate; dasselbe findet bei allen andern
Metallen statt.

Man ist in dieser Hinsicht allgemein darüber einverstanden, dass alle, hinsichtlich
der Biegung untersuchte Körper nur bis zu einer gewissen Gränze vollkom-
mene Elasticität besitzen
, bei deren Uiberschreitung die Körper mehr ausgedehnt
werden, als es den, bei den ersten Versuchen mit denselben Körpern beobachteten Ge-
setzen der Elasticität gemäss ist. Werden nämlich die Belastungen sehr vergrössert oder
die Anstrengungen der Körper gleichsam überspannt, so besitzen die letztern nicht mehr
das Vermögen nach abgenommener Last zu ihrem ursprünglichen Stande wieder zurück-
zukehren, indem sie den aufgelegten grössern Belastungen immer mehr nachgeben. Wer-
den endlich die Körper durch eine längere Zeit in diesem Zustande der Uiberspannung
gelassen, so kann dann der Bruch von der blossen Fortdauer dieser grössern Belastung
herbeigeführt werden. Obgleich diese Erfahrungen keinem Zweifel unterliegen, so
war man doch bisher nicht im Stande über die Gränzen der Elasticität bestimmte
Gesetze anzugeben oder sie durch eine Rechnung zu begründen, auch haben die bis-
herigen Schriftsteller sich überhaupt mehr bemüht, die Umstände, unter welchen der
Bruch erfolgt, zu berücksichtigen und die Hindernisse, welche einer diessfälligen Be-
stimmung im Wege stehen, darzustellen; man hat sonach bloss nach sogenannten prak-
tischen Urtheilen geglaubt, dass es für alle Fälle hinreichen werde, dem Eisen bloss
die Hälfte der Last, dem Holze aber nur den dritten oder vierten Theil jenes Gewich-
tes mit Sicherheit auflegen zu können, wovon den Versuchen zu Folge der Bruch er-
folgen würde.

Da bei dieser praktischen Regel die Biegung gar nicht berücksichtigt wird, je-
doch, so wie bereits oben §. 271 bei den Kettenbrücken gezeigt worden, mehrere
Fälle vorkommen, wo selbst geringe Biegungen Nachtheile nach sich ziehen, und
da es zur Vermeidung derselben erwünschlich ist, auch für die Maasse der Bie-
gung eine bestimmte Regel zu besitzen, so wurden bei dem technischen Institute zu
Prag nebst den bereits oben über die Festigkeit, Elasticität und Ausdehnung des Ei-
sens angeführten Versuchen, auch noch später (im November 1830) ähnliche Versuche,
vorzüglich über die Biegung der Hölzer angestellt, weil es wohl keinem Zweifel unter-

Festigkeit der Körper in Hinsicht auf Biegung.

Die bisherigen Beobachtungen zeigen, dass diese Ungleichheiten vorzüglich in fol-
genden Umständen ihren Grund haben. Der Stand des Baumes, ob er nämlich an einem
feuchten oder trockenen Orte gewachsen ist, dem Sonnenscheine, Wind und Wetter
mehr oder weniger ausgesetzt war, endlich auch die Zeit des Fällens üben einen wesentli-
chen Einfluss auf die Festigkeit der Hölzer aus. Ferner ist in jedem gesunden Baume das
Holz vom Kerne aus gewöhnlich sehr verschieden; dort wo die Jahresringe am dichtesten
sind, ist es am stärksten. Bei einem gesunden Stamme hat das Holz an der Wurzel mehr Fe-
stigkeit, als am Wipfel; wird endlich ein Holzstück so zerschnitten, dass die Holzringe
vertikal oder mit der Richtung der Last parallel laufen, so besitzt dasselbe mehr Festig-
keit, als wenn man die Holzringe wagerecht legt. Aus allen diesen Gründen kann man bei
Versuchen mit Holz keine solche Uibereinstimmung erwarten, als es bei dem Eisen und
andern Metallen der Fall ist. Aber auch bei dem Eisen geben die Versuche über die
Biegung desselben wegen der ungleichen Beschaffenheit unserer Eisenstäbe, worüber die
Gründe §. 276 angegeben wurden, ungleiche Resultate; dasselbe findet bei allen andern
Metallen statt.

Man ist in dieser Hinsicht allgemein darüber einverstanden, dass alle, hinsichtlich
der Biegung untersuchte Körper nur bis zu einer gewissen Gränze vollkom-
mene Elasticität besitzen
, bei deren Uiberschreitung die Körper mehr ausgedehnt
werden, als es den, bei den ersten Versuchen mit denselben Körpern beobachteten Ge-
setzen der Elasticität gemäss ist. Werden nämlich die Belastungen sehr vergrössert oder
die Anstrengungen der Körper gleichsam überspannt, so besitzen die letztern nicht mehr
das Vermögen nach abgenommener Last zu ihrem ursprünglichen Stande wieder zurück-
zukehren, indem sie den aufgelegten grössern Belastungen immer mehr nachgeben. Wer-
den endlich die Körper durch eine längere Zeit in diesem Zustande der Uiberspannung
gelassen, so kann dann der Bruch von der blossen Fortdauer dieser grössern Belastung
herbeigeführt werden. Obgleich diese Erfahrungen keinem Zweifel unterliegen, so
war man doch bisher nicht im Stande über die Gränzen der Elasticität bestimmte
Gesetze anzugeben oder sie durch eine Rechnung zu begründen, auch haben die bis-
herigen Schriftsteller sich überhaupt mehr bemüht, die Umstände, unter welchen der
Bruch erfolgt, zu berücksichtigen und die Hindernisse, welche einer diessfälligen Be-
stimmung im Wege stehen, darzustellen; man hat sonach bloss nach sogenannten prak-
tischen Urtheilen geglaubt, dass es für alle Fälle hinreichen werde, dem Eisen bloss
die Hälfte der Last, dem Holze aber nur den dritten oder vierten Theil jenes Gewich-
tes mit Sicherheit auflegen zu können, wovon den Versuchen zu Folge der Bruch er-
folgen würde.

Da bei dieser praktischen Regel die Biegung gar nicht berücksichtigt wird, je-
doch, so wie bereits oben §. 271 bei den Kettenbrücken gezeigt worden, mehrere
Fälle vorkommen, wo selbst geringe Biegungen Nachtheile nach sich ziehen, und
da es zur Vermeidung derselben erwünschlich ist, auch für die Maasse der Bie-
gung eine bestimmte Regel zu besitzen, so wurden bei dem technischen Institute zu
Prag nebst den bereits oben über die Festigkeit, Elasticität und Ausdehnung des Ei-
sens angeführten Versuchen, auch noch später (im November 1830) ähnliche Versuche,
vorzüglich über die Biegung der Hölzer angestellt, weil es wohl keinem Zweifel unter-

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[327/0357] Festigkeit der Körper in Hinsicht auf Biegung. Die bisherigen Beobachtungen zeigen, dass diese Ungleichheiten vorzüglich in fol- genden Umständen ihren Grund haben. Der Stand des Baumes, ob er nämlich an einem feuchten oder trockenen Orte gewachsen ist, dem Sonnenscheine, Wind und Wetter mehr oder weniger ausgesetzt war, endlich auch die Zeit des Fällens üben einen wesentli- chen Einfluss auf die Festigkeit der Hölzer aus. Ferner ist in jedem gesunden Baume das Holz vom Kerne aus gewöhnlich sehr verschieden; dort wo die Jahresringe am dichtesten sind, ist es am stärksten. Bei einem gesunden Stamme hat das Holz an der Wurzel mehr Fe- stigkeit, als am Wipfel; wird endlich ein Holzstück so zerschnitten, dass die Holzringe vertikal oder mit der Richtung der Last parallel laufen, so besitzt dasselbe mehr Festig- keit, als wenn man die Holzringe wagerecht legt. Aus allen diesen Gründen kann man bei Versuchen mit Holz keine solche Uibereinstimmung erwarten, als es bei dem Eisen und andern Metallen der Fall ist. Aber auch bei dem Eisen geben die Versuche über die Biegung desselben wegen der ungleichen Beschaffenheit unserer Eisenstäbe, worüber die Gründe §. 276 angegeben wurden, ungleiche Resultate; dasselbe findet bei allen andern Metallen statt. Man ist in dieser Hinsicht allgemein darüber einverstanden, dass alle, hinsichtlich der Biegung untersuchte Körper nur bis zu einer gewissen Gränze vollkom- mene Elasticität besitzen, bei deren Uiberschreitung die Körper mehr ausgedehnt werden, als es den, bei den ersten Versuchen mit denselben Körpern beobachteten Ge- setzen der Elasticität gemäss ist. Werden nämlich die Belastungen sehr vergrössert oder die Anstrengungen der Körper gleichsam überspannt, so besitzen die letztern nicht mehr das Vermögen nach abgenommener Last zu ihrem ursprünglichen Stande wieder zurück- zukehren, indem sie den aufgelegten grössern Belastungen immer mehr nachgeben. Wer- den endlich die Körper durch eine längere Zeit in diesem Zustande der Uiberspannung gelassen, so kann dann der Bruch von der blossen Fortdauer dieser grössern Belastung herbeigeführt werden. Obgleich diese Erfahrungen keinem Zweifel unterliegen, so war man doch bisher nicht im Stande über die Gränzen der Elasticität bestimmte Gesetze anzugeben oder sie durch eine Rechnung zu begründen, auch haben die bis- herigen Schriftsteller sich überhaupt mehr bemüht, die Umstände, unter welchen der Bruch erfolgt, zu berücksichtigen und die Hindernisse, welche einer diessfälligen Be- stimmung im Wege stehen, darzustellen; man hat sonach bloss nach sogenannten prak- tischen Urtheilen geglaubt, dass es für alle Fälle hinreichen werde, dem Eisen bloss die Hälfte der Last, dem Holze aber nur den dritten oder vierten Theil jenes Gewich- tes mit Sicherheit auflegen zu können, wovon den Versuchen zu Folge der Bruch er- folgen würde. Da bei dieser praktischen Regel die Biegung gar nicht berücksichtigt wird, je- doch, so wie bereits oben §. 271 bei den Kettenbrücken gezeigt worden, mehrere Fälle vorkommen, wo selbst geringe Biegungen Nachtheile nach sich ziehen, und da es zur Vermeidung derselben erwünschlich ist, auch für die Maasse der Bie- gung eine bestimmte Regel zu besitzen, so wurden bei dem technischen Institute zu Prag nebst den bereits oben über die Festigkeit, Elasticität und Ausdehnung des Ei- sens angeführten Versuchen, auch noch später (im November 1830) ähnliche Versuche, vorzüglich über die Biegung der Hölzer angestellt, weil es wohl keinem Zweifel unter-

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/357>, abgerufen am 29.03.2024.