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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Mechanische Kräfte.

Es gibt nebst den erwähnten drei Kräften (der Muskelkraft der Menschen, der
Cohaesionskraft und der Schwerkraft) noch viele andere, welche sich die Menschen dienst-
bar gemacht und die sie zur Verrichtung ihrer Arbeiten angewendet haben. In den älte-
sten Zeiten wurden alle Arbeiten unmittelbar von Menschen verrichtet. Zuerst soll es in
Egypten gelungen seyn, den Pflug und dadurch zugleich das Mittel zu erfinden, wie
die Kräfte der Ochsen zum Ackern, d. i. zum Aufgraben und Uiberstürzen der Erde
verwendet werden können. Auf den Beifall, mit welchem diese erste Maschine von
der menschlichen Gesellschaft aufgenommen wurde, lässt sich aus den Opferfesten
schliessen, welche die egyptischen Priester zur dankbaren Erinnerung an dieses Ge-
schenk einer höhern Macht veranstalteten. Auf gleiche Art wurden die Pferde zum
Fortziehen der Wägen verwendet und es kam bald dahin, dass alle Lasten viel leich-
ter und mit weniger Kosten von einem Orte zum andern geführt, als von Menschen
oder Thieren getragen werden konnten. -- Noch die Römer liessen das Getreide von
Sklaven zerstampfen und durch Siebe von der weniger verdaulichen Spreu reinigen.
Bald nachher wurden Wassermühlen erfunden, und denselben eine solche Einrich-
tung gegeben, wornach alle verschiedenen Operationen, welche die Erzeugung der
mannigfaltigen Mehlgattungen erfordert, voa jedem einzelnen Wasserrade verrichtet
werden. Die Araber erfanden zu demselben Zwecke Windmühlen, welche in dem
westlichen Europa erst in den Zeiten der Kreuzzüge bekannt wurden. Die spätere Er-
findung des Schiesspulvers gab unsern Waffen eine neue Kraft, der die zahl-
reichsten Armeen nicht Widerstand zu leisten vermochten; die Benützung der Feder-
kraft
der Metalle lieferte uns vollkommene Uhren und Zeitmesser; den neuesten Zeiten
war es endlich vorbehalten, durch Benützung der Wasserdämpfe eine Kraft zu ge-
winnen, welche nicht nur an Stärke allen andern Kräften weit überlegen ist, sondern
auch durch höchst sinnreiche, mechanische Vorrichtungen in ihrer Wirkung so ge-
schmeidig gemacht wurde, dass sie zu gleicher Zeit die stärksten Eisenstäbe schmieden
und die feinsten Baumwollenfäden zu spinnen und zu weben vermag. Erfahrene Eng-
länder behaupten, dass ihr Vaterland seine dermalige Uiberlegenheit in der Erzeugung
aller Gewerbsprodukte und im Handel ganz vorzüglich der Erfindung und Vervoll-
kommnung der Dampfmaschinen zu verdanken habe.

§. 3.

Bei allen Arbeiten müssen folgende Gegenstände in Betrachtung gezogen werden:

A. Der Gegenstand der Arbeit selbst, welche zu Stande gebracht werden
soll, z. B. das Tragen, Heben, Ziehen einer Last, das Pressen, das Man-
geln u. dgl.
B. Die Mittel, d. i. die Werkzeuge (Instrumente) oder Maschinen, durch welche
die Arbeit ausgeführt werden kann.
C. Die zweckmässige Verwendung der hiezu nöthigen Kräfte; und
D. Die Bestimmung der Verhältnisse der Bestandtheile der Maschine,
um hiedurch die bestmögliche Benützung der Kraft und sonach auch das grösst-
mögliche Quantum an Arbeitsprodukten
in einer bestimmten Zeit, z. B.
in einem Tage zu erzielen.
Mechanische Kräfte.

Es gibt nebst den erwähnten drei Kräften (der Muskelkraft der Menschen, der
Cohaesionskraft und der Schwerkraft) noch viele andere, welche sich die Menschen dienst-
bar gemacht und die sie zur Verrichtung ihrer Arbeiten angewendet haben. In den älte-
sten Zeiten wurden alle Arbeiten unmittelbar von Menschen verrichtet. Zuerst soll es in
Egypten gelungen seyn, den Pflug und dadurch zugleich das Mittel zu erfinden, wie
die Kräfte der Ochsen zum Ackern, d. i. zum Aufgraben und Uiberstürzen der Erde
verwendet werden können. Auf den Beifall, mit welchem diese erste Maschine von
der menschlichen Gesellschaft aufgenommen wurde, lässt sich aus den Opferfesten
schliessen, welche die egyptischen Priester zur dankbaren Erinnerung an dieses Ge-
schenk einer höhern Macht veranstalteten. Auf gleiche Art wurden die Pferde zum
Fortziehen der Wägen verwendet und es kam bald dahin, dass alle Lasten viel leich-
ter und mit weniger Kosten von einem Orte zum andern geführt, als von Menschen
oder Thieren getragen werden konnten. — Noch die Römer liessen das Getreide von
Sklaven zerstampfen und durch Siebe von der weniger verdaulichen Spreu reinigen.
Bald nachher wurden Wassermühlen erfunden, und denselben eine solche Einrich-
tung gegeben, wornach alle verschiedenen Operationen, welche die Erzeugung der
mannigfaltigen Mehlgattungen erfordert, voa jedem einzelnen Wasserrade verrichtet
werden. Die Araber erfanden zu demselben Zwecke Windmühlen, welche in dem
westlichen Europa erst in den Zeiten der Kreuzzüge bekannt wurden. Die spätere Er-
findung des Schiesspulvers gab unsern Waffen eine neue Kraft, der die zahl-
reichsten Armeen nicht Widerstand zu leisten vermochten; die Benützung der Feder-
kraft
der Metalle lieferte uns vollkommene Uhren und Zeitmesser; den neuesten Zeiten
war es endlich vorbehalten, durch Benützung der Wasserdämpfe eine Kraft zu ge-
winnen, welche nicht nur an Stärke allen andern Kräften weit überlegen ist, sondern
auch durch höchst sinnreiche, mechanische Vorrichtungen in ihrer Wirkung so ge-
schmeidig gemacht wurde, dass sie zu gleicher Zeit die stärksten Eisenstäbe schmieden
und die feinsten Baumwollenfäden zu spinnen und zu weben vermag. Erfahrene Eng-
länder behaupten, dass ihr Vaterland seine dermalige Uiberlegenheit in der Erzeugung
aller Gewerbsprodukte und im Handel ganz vorzüglich der Erfindung und Vervoll-
kommnung der Dampfmaschinen zu verdanken habe.

§. 3.

Bei allen Arbeiten müssen folgende Gegenstände in Betrachtung gezogen werden:

A. Der Gegenstand der Arbeit selbst, welche zu Stande gebracht werden
soll, z. B. das Tragen, Heben, Ziehen einer Last, das Pressen, das Man-
geln u. dgl.
B. Die Mittel, d. i. die Werkzeuge (Instrumente) oder Maschinen, durch welche
die Arbeit ausgeführt werden kann.
C. Die zweckmässige Verwendung der hiezu nöthigen Kräfte; und
D. Die Bestimmung der Verhältnisse der Bestandtheile der Maschine,
um hiedurch die bestmögliche Benützung der Kraft und sonach auch das grösst-
mögliche Quantum an Arbeitsprodukten
in einer bestimmten Zeit, z. B.
in einem Tage zu erzielen.
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[4/0034] Mechanische Kräfte. Es gibt nebst den erwähnten drei Kräften (der Muskelkraft der Menschen, der Cohaesionskraft und der Schwerkraft) noch viele andere, welche sich die Menschen dienst- bar gemacht und die sie zur Verrichtung ihrer Arbeiten angewendet haben. In den älte- sten Zeiten wurden alle Arbeiten unmittelbar von Menschen verrichtet. Zuerst soll es in Egypten gelungen seyn, den Pflug und dadurch zugleich das Mittel zu erfinden, wie die Kräfte der Ochsen zum Ackern, d. i. zum Aufgraben und Uiberstürzen der Erde verwendet werden können. Auf den Beifall, mit welchem diese erste Maschine von der menschlichen Gesellschaft aufgenommen wurde, lässt sich aus den Opferfesten schliessen, welche die egyptischen Priester zur dankbaren Erinnerung an dieses Ge- schenk einer höhern Macht veranstalteten. Auf gleiche Art wurden die Pferde zum Fortziehen der Wägen verwendet und es kam bald dahin, dass alle Lasten viel leich- ter und mit weniger Kosten von einem Orte zum andern geführt, als von Menschen oder Thieren getragen werden konnten. — Noch die Römer liessen das Getreide von Sklaven zerstampfen und durch Siebe von der weniger verdaulichen Spreu reinigen. Bald nachher wurden Wassermühlen erfunden, und denselben eine solche Einrich- tung gegeben, wornach alle verschiedenen Operationen, welche die Erzeugung der mannigfaltigen Mehlgattungen erfordert, voa jedem einzelnen Wasserrade verrichtet werden. Die Araber erfanden zu demselben Zwecke Windmühlen, welche in dem westlichen Europa erst in den Zeiten der Kreuzzüge bekannt wurden. Die spätere Er- findung des Schiesspulvers gab unsern Waffen eine neue Kraft, der die zahl- reichsten Armeen nicht Widerstand zu leisten vermochten; die Benützung der Feder- kraft der Metalle lieferte uns vollkommene Uhren und Zeitmesser; den neuesten Zeiten war es endlich vorbehalten, durch Benützung der Wasserdämpfe eine Kraft zu ge- winnen, welche nicht nur an Stärke allen andern Kräften weit überlegen ist, sondern auch durch höchst sinnreiche, mechanische Vorrichtungen in ihrer Wirkung so ge- schmeidig gemacht wurde, dass sie zu gleicher Zeit die stärksten Eisenstäbe schmieden und die feinsten Baumwollenfäden zu spinnen und zu weben vermag. Erfahrene Eng- länder behaupten, dass ihr Vaterland seine dermalige Uiberlegenheit in der Erzeugung aller Gewerbsprodukte und im Handel ganz vorzüglich der Erfindung und Vervoll- kommnung der Dampfmaschinen zu verdanken habe. §. 3. Bei allen Arbeiten müssen folgende Gegenstände in Betrachtung gezogen werden: A. Der Gegenstand der Arbeit selbst, welche zu Stande gebracht werden soll, z. B. das Tragen, Heben, Ziehen einer Last, das Pressen, das Man- geln u. dgl. B. Die Mittel, d. i. die Werkzeuge (Instrumente) oder Maschinen, durch welche die Arbeit ausgeführt werden kann. C. Die zweckmässige Verwendung der hiezu nöthigen Kräfte; und D. Die Bestimmung der Verhältnisse der Bestandtheile der Maschine, um hiedurch die bestmögliche Benützung der Kraft und sonach auch das grösst- mögliche Quantum an Arbeitsprodukten in einer bestimmten Zeit, z. B. in einem Tage zu erzielen.

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/34>, abgerufen am 19.04.2024.