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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Relative Festigkeit der Körper.
B. Relative Festigkeit der Körper.
§. 282.

Wird ein Balken in einer horizontalen Lage an dem einen Ende A C festgehalten (z. B.Fig.
12.
Tab.
14.

eingemauert) und am andern Ende B mit einem Gewichte belastet, so wird seine rela-
tive
oder respektive Festigkeit in Anspruch genommen, weil die Cohaesion der
Theile nur nach der Richtung A G des Balkens widersteht, während das angebrachte
Gewicht nach der Richtung der Schwere wirkt, und beide also mitsammen einen Winkel
bilden.

Alle Körper sind mehr oder weniger einer Ausdehnung und Zusammendrückung fä-
hig, daher biegen sich dieselben, bevor sie brechen; es werden nämlich die cohaerirenden
Fäden durch die Wirkung des angebrachten Gewichtes oben ausgedehnt und unten zusam-
mengedrückt.

Bei der absoluten Festigkeit wirkt die Belastung in allen Querschnitten auf alle ein-
zelnen cohaerirenden Theile gleich stark; bei der relativen Festigkeit dagegen werden
die obersten Theilchen in F (Fig. 14) am meisten, und jede der Höhe nach tiefer liegen-Fig.
14.

den in a, b.... weniger gespannt, bis endlich in einem Punkte T gar keine Spannung
mehr statt findet. Von diesem Punkte T an werden die unterhalb liegenden Theil-
chen zusammengedrückt, und zwar um so mehr, je weiter sie von dem Punkte T abwärts
liegen, am tiefsten Punkte E endlich ist die Zusammendrückung am grössten.

Aus dieser ungleichen Ausdehnung der Cohaesionsfäden erhellet zugleich, dass,
wenn die obersten am meisten gespannten Fäden reissen, der ganze Balken auch brechen
muss; denn wenn alle Fäden den Bruch nicht hindern konnten, so wird die übrige ge-
ringere Zahl ihn noch weniger verhindern.

§. 283.

Um bei der Aufstellung der Gesetze für die respektive Festigkeit von dem Einfach-
sten zu dem Zusammengesetztern vorzuschreiten, wollen wir vorerst auf die Zusammen-
drückbarkeit der Materie keine Rücksicht nehmen, und bei den betrachteten Körpern
bloss eine Ausdehnungsfähigkeit voraussetzen.

Die beiden bei A und a eingemauerten gleichartigen Balken A B und a b Fig. 12Fig.
12.

sollen durch die Gewichte Q und q in B und b beschwert, in gleiche Spannungen versetzt,
oder sich im Augenblicke des Bruches befinden.

Wird der Balken A B durch das Gewicht Q gebogen, so wird bei irgend einem Thei-
le des Balkens F E K J, wo vor der Belastung F K = E J war, wegen der Ausdehnung
der obern Theilchen, F K grösser als E J werden. Wenn wir aus E zu J K die Parallele
E D ziehen, so wird F D die auf die Länge F K bewirkte Ausdehnung des obersten Co-
haesionsfadens seyn, und es müssen die Ausdehnungen aller tiefern Fäden dieses Stückes
offenbar durch die Linien F E und D E begränzt seyn, weil der Körper A B eine feste
Masse ist. Dasselbe gilt von dem zweiten Balken a b, die Grösse der Ausdehnungen
der auf einander liegenden Fäden wird bei einem eben so langen Stücke f k = F K auf
gleiche Art durch die Linien f e und d e begränzt und gemessen. Zur Erleichterung

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Relative Festigkeit der Körper.
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§. 282.

Wird ein Balken in einer horizontalen Lage an dem einen Ende A C festgehalten (z. B.Fig.
12.
Tab.
14.

eingemauert) und am andern Ende B mit einem Gewichte belastet, so wird seine rela-
tive
oder respektive Festigkeit in Anspruch genommen, weil die Cohaesion der
Theile nur nach der Richtung A G des Balkens widersteht, während das angebrachte
Gewicht nach der Richtung der Schwere wirkt, und beide also mitsammen einen Winkel
bilden.

Alle Körper sind mehr oder weniger einer Ausdehnung und Zusammendrückung fä-
hig, daher biegen sich dieselben, bevor sie brechen; es werden nämlich die cohaerirenden
Fäden durch die Wirkung des angebrachten Gewichtes oben ausgedehnt und unten zusam-
mengedrückt.

Bei der absoluten Festigkeit wirkt die Belastung in allen Querschnitten auf alle ein-
zelnen cohaerirenden Theile gleich stark; bei der relativen Festigkeit dagegen werden
die obersten Theilchen in F (Fig. 14) am meisten, und jede der Höhe nach tiefer liegen-Fig.
14.

den in a, b.... weniger gespannt, bis endlich in einem Punkte T gar keine Spannung
mehr statt findet. Von diesem Punkte T an werden die unterhalb liegenden Theil-
chen zusammengedrückt, und zwar um so mehr, je weiter sie von dem Punkte T abwärts
liegen, am tiefsten Punkte E endlich ist die Zusammendrückung am grössten.

Aus dieser ungleichen Ausdehnung der Cohaesionsfäden erhellet zugleich, dass,
wenn die obersten am meisten gespannten Fäden reissen, der ganze Balken auch brechen
muss; denn wenn alle Fäden den Bruch nicht hindern konnten, so wird die übrige ge-
ringere Zahl ihn noch weniger verhindern.

§. 283.

Um bei der Aufstellung der Gesetze für die respektive Festigkeit von dem Einfach-
sten zu dem Zusammengesetztern vorzuschreiten, wollen wir vorerst auf die Zusammen-
drückbarkeit der Materie keine Rücksicht nehmen, und bei den betrachteten Körpern
bloss eine Ausdehnungsfähigkeit voraussetzen.

Die beiden bei A und a eingemauerten gleichartigen Balken A B und a b Fig. 12Fig.
12.

sollen durch die Gewichte Q und q in B und b beschwert, in gleiche Spannungen versetzt,
oder sich im Augenblicke des Bruches befinden.

Wird der Balken A B durch das Gewicht Q gebogen, so wird bei irgend einem Thei-
le des Balkens F E K J, wo vor der Belastung F K = E J war, wegen der Ausdehnung
der obern Theilchen, F K grösser als E J werden. Wenn wir aus E zu J K die Parallele
E D ziehen, so wird F D die auf die Länge F K bewirkte Ausdehnung des obersten Co-
haesionsfadens seyn, und es müssen die Ausdehnungen aller tiefern Fäden dieses Stückes
offenbar durch die Linien F E und D E begränzt seyn, weil der Körper A B eine feste
Masse ist. Dasselbe gilt von dem zweiten Balken a b, die Grösse der Ausdehnungen
der auf einander liegenden Fäden wird bei einem eben so langen Stücke f k = F K auf
gleiche Art durch die Linien f e und d e begränzt und gemessen. Zur Erleichterung

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[291/0321] Relative Festigkeit der Körper. B. Relative Festigkeit der Körper. §. 282. Wird ein Balken in einer horizontalen Lage an dem einen Ende A C festgehalten (z. B. eingemauert) und am andern Ende B mit einem Gewichte belastet, so wird seine rela- tive oder respektive Festigkeit in Anspruch genommen, weil die Cohaesion der Theile nur nach der Richtung A G des Balkens widersteht, während das angebrachte Gewicht nach der Richtung der Schwere wirkt, und beide also mitsammen einen Winkel bilden. Fig. 12. Tab. 14. Alle Körper sind mehr oder weniger einer Ausdehnung und Zusammendrückung fä- hig, daher biegen sich dieselben, bevor sie brechen; es werden nämlich die cohaerirenden Fäden durch die Wirkung des angebrachten Gewichtes oben ausgedehnt und unten zusam- mengedrückt. Bei der absoluten Festigkeit wirkt die Belastung in allen Querschnitten auf alle ein- zelnen cohaerirenden Theile gleich stark; bei der relativen Festigkeit dagegen werden die obersten Theilchen in F (Fig. 14) am meisten, und jede der Höhe nach tiefer liegen- den in a, b.... weniger gespannt, bis endlich in einem Punkte T gar keine Spannung mehr statt findet. Von diesem Punkte T an werden die unterhalb liegenden Theil- chen zusammengedrückt, und zwar um so mehr, je weiter sie von dem Punkte T abwärts liegen, am tiefsten Punkte E endlich ist die Zusammendrückung am grössten. Fig. 14. Aus dieser ungleichen Ausdehnung der Cohaesionsfäden erhellet zugleich, dass, wenn die obersten am meisten gespannten Fäden reissen, der ganze Balken auch brechen muss; denn wenn alle Fäden den Bruch nicht hindern konnten, so wird die übrige ge- ringere Zahl ihn noch weniger verhindern. §. 283. Um bei der Aufstellung der Gesetze für die respektive Festigkeit von dem Einfach- sten zu dem Zusammengesetztern vorzuschreiten, wollen wir vorerst auf die Zusammen- drückbarkeit der Materie keine Rücksicht nehmen, und bei den betrachteten Körpern bloss eine Ausdehnungsfähigkeit voraussetzen. Die beiden bei A und a eingemauerten gleichartigen Balken A B und a b Fig. 12 sollen durch die Gewichte Q und q in B und b beschwert, in gleiche Spannungen versetzt, oder sich im Augenblicke des Bruches befinden. Fig. 12. Wird der Balken A B durch das Gewicht Q gebogen, so wird bei irgend einem Thei- le des Balkens F E K J, wo vor der Belastung F K = E J war, wegen der Ausdehnung der obern Theilchen, F K grösser als E J werden. Wenn wir aus E zu J K die Parallele E D ziehen, so wird F D die auf die Länge F K bewirkte Ausdehnung des obersten Co- haesionsfadens seyn, und es müssen die Ausdehnungen aller tiefern Fäden dieses Stückes offenbar durch die Linien F E und D E begränzt seyn, weil der Körper A B eine feste Masse ist. Dasselbe gilt von dem zweiten Balken a b, die Grösse der Ausdehnungen der auf einander liegenden Fäden wird bei einem eben so langen Stücke f k = F K auf gleiche Art durch die Linien f e und d e begränzt und gemessen. Zur Erleichterung 37 *

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/321>, abgerufen am 29.03.2024.