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Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789.

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wenn wir bedenken, daß, wo nicht alle, doch
der aufgeklärtere Theil der Menschen immer
Geschmack an dem Schönen hat: jedes Zeital-
ter, selbst das Mittlere der Barbarey nicht aus-
genommen, hatte seine schönen Geister. Allein
des Glück in die Geheimnisse der natürlichen
Mechanik einzudringen, ward bisher nur wenigen
zu Theil, die von der Natur mit besondern
Scharfsinn nnd unbiegsamen Eifer in gleichem
Maße begabt, in die glücklichen Umstände gesetzt
wurden, Anlaß und Unterstützung bei ihrem Kunst-
fache zu finden. Hätte Italien den unsterbli-
chen Newton hervorgebracht, so würden wir,
vielleicht für alle Fälle der Baukunst, sichere,
brauchbare und faßliche Regeln haben, und bei
der Betrachtung majestätischer Gebäude die Be-
sorgniß unterdrücken dürfen, daß sie höchstens
nur Erscheinungen für ein oder das andere Jahr-
hundert seyn werden.

Diese Gedanken haben mich schon im Jahre
1776 da ich als Schüler der höheren Mathema-
tik, mich mit den Schriften dieses Faches be-
kannt machte, aufgemuntert, alles, was ich
hierüber ausfindig machen konnte, zu durchfor-
schen, und den schwersten Theil der höheren
Baukunst, die Wölbungstheorie, so viel als
möglich, auf die einfachsten statischen Grundsä-
tze zurückzuführen. Es gelang mir damals, zu
den Wahrheiten, wozu meine Vorgänger Jakob
und Johann Bernoully, Leibnitz, Gregory, de la
Hire, Couplet, Clairaut
, und Elvius gekom-
men waren, bequemere Wege zu finden, und
eine größere Aussicht zu gewinnen. Vorzüg-
lich freute mich das Glück, nicht blos für die
Schwerpunkte der Gewölbsteine, wie Lambert,
sondern für die ganze Maße der Gewölbe das

Gleich-
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wenn wir bedenken, daß, wo nicht alle, doch
der aufgeklaͤrtere Theil der Menſchen immer
Geſchmack an dem Schoͤnen hat: jedes Zeital-
ter, ſelbſt das Mittlere der Barbarey nicht aus-
genommen, hatte ſeine ſchoͤnen Geiſter. Allein
des Gluͤck in die Geheimniſſe der natuͤrlichen
Mechanik einzudringen, ward bisher nur wenigen
zu Theil, die von der Natur mit beſondern
Scharfſinn nnd unbiegſamen Eifer in gleichem
Maße begabt, in die gluͤcklichen Umſtaͤnde geſetzt
wurden, Anlaß und Unterſtuͤtzung bei ihrem Kunſt-
fache zu finden. Haͤtte Italien den unſterbli-
chen Newton hervorgebracht, ſo wuͤrden wir,
vielleicht fuͤr alle Faͤlle der Baukunſt, ſichere,
brauchbare und faßliche Regeln haben, und bei
der Betrachtung majeſtaͤtiſcher Gebaͤude die Be-
ſorgniß unterdruͤcken duͤrfen, daß ſie hoͤchſtens
nur Erſcheinungen fuͤr ein oder das andere Jahr-
hundert ſeyn werden.

Dieſe Gedanken haben mich ſchon im Jahre
1776 da ich als Schuͤler der hoͤheren Mathema-
tik, mich mit den Schriften dieſes Faches be-
kannt machte, aufgemuntert, alles, was ich
hieruͤber ausfindig machen konnte, zu durchfor-
ſchen, und den ſchwerſten Theil der hoͤheren
Baukunſt, die Woͤlbungstheorie, ſo viel als
moͤglich, auf die einfachſten ſtatiſchen Grundſaͤ-
tze zuruͤckzufuͤhren. Es gelang mir damals, zu
den Wahrheiten, wozu meine Vorgaͤnger Jakob
und Johann Bernoully, Leibnitz, Gregory, de la
Hire, Couplet, Clairaut
, und Elvius gekom-
men waren, bequemere Wege zu finden, und
eine groͤßere Ausſicht zu gewinnen. Vorzuͤg-
lich freute mich das Gluͤck, nicht blos fuͤr die
Schwerpunkte der Gewoͤlbſteine, wie Lambert,
ſondern fuͤr die ganze Maße der Gewoͤlbe das

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[[5]/0011] wenn wir bedenken, daß, wo nicht alle, doch der aufgeklaͤrtere Theil der Menſchen immer Geſchmack an dem Schoͤnen hat: jedes Zeital- ter, ſelbſt das Mittlere der Barbarey nicht aus- genommen, hatte ſeine ſchoͤnen Geiſter. Allein des Gluͤck in die Geheimniſſe der natuͤrlichen Mechanik einzudringen, ward bisher nur wenigen zu Theil, die von der Natur mit beſondern Scharfſinn nnd unbiegſamen Eifer in gleichem Maße begabt, in die gluͤcklichen Umſtaͤnde geſetzt wurden, Anlaß und Unterſtuͤtzung bei ihrem Kunſt- fache zu finden. Haͤtte Italien den unſterbli- chen Newton hervorgebracht, ſo wuͤrden wir, vielleicht fuͤr alle Faͤlle der Baukunſt, ſichere, brauchbare und faßliche Regeln haben, und bei der Betrachtung majeſtaͤtiſcher Gebaͤude die Be- ſorgniß unterdruͤcken duͤrfen, daß ſie hoͤchſtens nur Erſcheinungen fuͤr ein oder das andere Jahr- hundert ſeyn werden. Dieſe Gedanken haben mich ſchon im Jahre 1776 da ich als Schuͤler der hoͤheren Mathema- tik, mich mit den Schriften dieſes Faches be- kannt machte, aufgemuntert, alles, was ich hieruͤber ausfindig machen konnte, zu durchfor- ſchen, und den ſchwerſten Theil der hoͤheren Baukunſt, die Woͤlbungstheorie, ſo viel als moͤglich, auf die einfachſten ſtatiſchen Grundſaͤ- tze zuruͤckzufuͤhren. Es gelang mir damals, zu den Wahrheiten, wozu meine Vorgaͤnger Jakob und Johann Bernoully, Leibnitz, Gregory, de la Hire, Couplet, Clairaut, und Elvius gekom- men waren, bequemere Wege zu finden, und eine groͤßere Ausſicht zu gewinnen. Vorzuͤg- lich freute mich das Gluͤck, nicht blos fuͤr die Schwerpunkte der Gewoͤlbſteine, wie Lambert, ſondern fuͤr die ganze Maße der Gewoͤlbe das Gleich- a 3

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789, S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_baukunst_1789/11>, abgerufen am 29.03.2024.