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Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789.

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Unsere öffentlichen Gebäude, sie mögen
zum Bedürfniß oder zur Pracht dienen, werden
demnach entweder nach den Originalen der Al-
ten oder nach praktischen Urtheilen von erfahr-
nen Baumeistern ausgeführet, ohne jedoch mit
völliger Sicherheit (wenigstens im Durchschnit-
te genommen) ihre Dauer verbürgen zu können;
zumal da nach dem Zeugniße der berühmtesten
Architekten noch kein großes Gewölbe durch
Menschenhände entstanden, in dem sich nicht
früh oder spät einige Nisse, aus was immer für
Ursachen, geäußert hätten; wozu statt allen
andern die einzige Kuppel der Peterskirche in Rom
als Beispiel dienen kann.

Nur eine gründliche und aus der Natur des
Bauens selbst hergeleitete Mechanik kann diesen
Gebrechen steuern -- kann allein unsern Woh-
nungen beruhigende Sicherheit und Staatsge-
bäuden eine Haltung geben, die wenigstens nicht
selbst die Ursache ihrer Auflösung in sich trägt,
und sohin nur dem unausweichlichen Zahn der
Zeit zu trotzen hat. Schade! daß die großen
Männer dieser Kunst, vom Vitruv anzufan-
gen, das Meisterstück der Baukunde nur in gu-
ten Verhältnissen der Säulenordnungen und
Bogenstellungen gesetzt, von der Bewunderung,
die man selbst den Ruinen alter Prachtgebäude
nicht versagen kann, hingerissen, sich blos zur
Nachahmung gestimmt, und schon dadurch in
den Besitz der besten Bauregeln zu kommen ver-
muthet haben. Seit dem ward die Festigkeit,
die doch das Wesentliche großer Bauwerke ist,
durch den Hang nach Schönheit so sehr über-
gangen, daß die Frage: ob ihre Pracht auch ih-
rer Dauer angemessen seye, beinahe immer die
letzte war. Der Grund davon wird begreiflich,

wenn

Unſere oͤffentlichen Gebaͤude, ſie moͤgen
zum Beduͤrfniß oder zur Pracht dienen, werden
demnach entweder nach den Originalen der Al-
ten oder nach praktiſchen Urtheilen von erfahr-
nen Baumeiſtern ausgefuͤhret, ohne jedoch mit
voͤlliger Sicherheit (wenigſtens im Durchſchnit-
te genommen) ihre Dauer verbuͤrgen zu koͤnnen;
zumal da nach dem Zeugniße der beruͤhmteſten
Architekten noch kein großes Gewoͤlbe durch
Menſchenhaͤnde entſtanden, in dem ſich nicht
fruͤh oder ſpaͤt einige Niſſe, aus was immer fuͤr
Urſachen, geaͤußert haͤtten; wozu ſtatt allen
andern die einzige Kuppel der Peterskirche in Rom
als Beiſpiel dienen kann.

Nur eine gruͤndliche und aus der Natur des
Bauens ſelbſt hergeleitete Mechanik kann dieſen
Gebrechen ſteuern — kann allein unſern Woh-
nungen beruhigende Sicherheit und Staatsge-
baͤuden eine Haltung geben, die wenigſtens nicht
ſelbſt die Urſache ihrer Aufloͤſung in ſich traͤgt,
und ſohin nur dem unausweichlichen Zahn der
Zeit zu trotzen hat. Schade! daß die großen
Maͤnner dieſer Kunſt, vom Vitruv anzufan-
gen, das Meiſterſtuͤck der Baukunde nur in gu-
ten Verhaͤltniſſen der Saͤulenordnungen und
Bogenſtellungen geſetzt, von der Bewunderung,
die man ſelbſt den Ruinen alter Prachtgebaͤude
nicht verſagen kann, hingeriſſen, ſich blos zur
Nachahmung geſtimmt, und ſchon dadurch in
den Beſitz der beſten Bauregeln zu kommen ver-
muthet haben. Seit dem ward die Feſtigkeit,
die doch das Weſentliche großer Bauwerke iſt,
durch den Hang nach Schoͤnheit ſo ſehr uͤber-
gangen, daß die Frage: ob ihre Pracht auch ih-
rer Dauer angemeſſen ſeye, beinahe immer die
letzte war. Der Grund davon wird begreiflich,

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Einleitung in die statische Baukunst. Prag, 1789, S. [4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_baukunst_1789/10>, abgerufen am 20.04.2024.