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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen


Mein Gemahl hat, wie er mir erzählt,
in allen dreymal an mich geschrieben. Zwey-
mal aus Moskau und einmal aus Siberien.
Der andere Brief aus Moskau ist ganz ver-
lohren gegangen. Er ist ungefehr ein
Jahr nach dem vorhergehenden und zu einer
Zeit geschrieben gewesen, in der es ihm in sei-
ner Gefangenschaft am erträglichsten gegan-
gen. Steeley hatte nämlich durch seine Lands-
leute und durch ihr Geld den Aufseher der Ge-
fangnen immer mehr gewonnen. Er hatte
es so weit gebracht, daß sein Vetter Sidne ihm
und meinem Gemahle bey gesellet worden war.
Durch den Beytritt dieses Unglückseligen, von
dem in dem folgenden Briefe eine traurige
Nachricht enthalten ist, war ihr Ungemach ei-
nige Zeit sehr gemildert worden. Mein
Gemahl hat mir von diesem Sidne nicht gu-
tes genug erzählen können. Er war von
Natur liebreich und furchtsam gewesen, und
bloß Steeleyn zu Liebe ein Soldat geworden.
Er hatte nach seiner natürlichen Beschaffenheit
die Beschwerlichkeiten der Gefangenschaft
empfindlicher gefühlt, als sie beide; und so
traurig er selbst gewesen war: so war er doch,
wenn Steeley und mein Gemahl ihren Muth
verlohren hatten, aus Liebe für sie gelassen

und
Leben der Schwediſchen


Mein Gemahl hat, wie er mir erzaͤhlt,
in allen dreymal an mich geſchrieben. Zwey-
mal aus Moskau und einmal aus Siberien.
Der andere Brief aus Moskau iſt ganz ver-
lohren gegangen. Er iſt ungefehr ein
Jahr nach dem vorhergehenden und zu einer
Zeit geſchrieben geweſen, in der es ihm in ſei-
ner Gefangenſchaft am ertraͤglichſten gegan-
gen. Steeley hatte naͤmlich durch ſeine Lands-
leute und durch ihr Geld den Aufſeher der Ge-
fangnen immer mehr gewonnen. Er hatte
es ſo weit gebracht, daß ſein Vetter Sidne ihm
und meinem Gemahle bey geſellet worden war.
Durch den Beytritt dieſes Ungluͤckſeligen, von
dem in dem folgenden Briefe eine traurige
Nachricht enthalten iſt, war ihr Ungemach ei-
nige Zeit ſehr gemildert worden. Mein
Gemahl hat mir von dieſem Sidne nicht gu-
tes genug erzaͤhlen koͤnnen. Er war von
Natur liebreich und furchtſam geweſen, und
bloß Steeleyn zu Liebe ein Soldat geworden.
Er hatte nach ſeiner natuͤrlichen Beſchaffenheit
die Beſchwerlichkeiten der Gefangenſchaft
empfindlicher gefuͤhlt, als ſie beide; und ſo
traurig er ſelbſt geweſen war: ſo war er doch,
wenn Steeley und mein Gemahl ihren Muth
verlohren hatten, aus Liebe fuͤr ſie gelaſſen

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[20/0020] Leben der Schwediſchen Mein Gemahl hat, wie er mir erzaͤhlt, in allen dreymal an mich geſchrieben. Zwey- mal aus Moskau und einmal aus Siberien. Der andere Brief aus Moskau iſt ganz ver- lohren gegangen. Er iſt ungefehr ein Jahr nach dem vorhergehenden und zu einer Zeit geſchrieben geweſen, in der es ihm in ſei- ner Gefangenſchaft am ertraͤglichſten gegan- gen. Steeley hatte naͤmlich durch ſeine Lands- leute und durch ihr Geld den Aufſeher der Ge- fangnen immer mehr gewonnen. Er hatte es ſo weit gebracht, daß ſein Vetter Sidne ihm und meinem Gemahle bey geſellet worden war. Durch den Beytritt dieſes Ungluͤckſeligen, von dem in dem folgenden Briefe eine traurige Nachricht enthalten iſt, war ihr Ungemach ei- nige Zeit ſehr gemildert worden. Mein Gemahl hat mir von dieſem Sidne nicht gu- tes genug erzaͤhlen koͤnnen. Er war von Natur liebreich und furchtſam geweſen, und bloß Steeleyn zu Liebe ein Soldat geworden. Er hatte nach ſeiner natuͤrlichen Beſchaffenheit die Beſchwerlichkeiten der Gefangenſchaft empfindlicher gefuͤhlt, als ſie beide; und ſo traurig er ſelbſt geweſen war: ſo war er doch, wenn Steeley und mein Gemahl ihren Muth verlohren hatten, aus Liebe fuͤr ſie gelaſſen und

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/20>, abgerufen am 29.03.2024.