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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Gräfinn von G **
mich zwar in Wirthschaftssachen gar nicht
unwissend gelassen; allein sie setzte mir zu
gleicher Zeit eine Liebe zu einer solchen Ga-
lanterie in den Kopf, bey der man sehr glück-
lich eine stolze Närrinn werden kann. Da-
mit sie etwas zu putzen hätte, so hat sie sich
oft in ihr Zimmer mit mir verschlossen, und
mir die schönsten Kleider und den größten
Schmuck angeleget, mich vor den Spie-
gel geführt, und mir hundertmal gesagt,
daß ich recht englich aussähe. Wenn
dieses geschehen war, so kleidete sie ihren
Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch
war freylich damals noch nicht alt; allein
ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich
zu nehmen, zu der unser Geschlecht recht
versehn zu seyn scheinet. Aber zu meinem
Glücke starb meine Frau Base, ehe ich
noch zehn Jahre alt war, und gab mei-
nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit,
mich desto sorgfältiger zu erziehen, und die
übeln Eindrücke wieder auszulöschen, wel-
che ihr Umgang und ihr Beyspiel in mir

gemacht
A 3

Gräfinn von G **
mich zwar in Wirthſchaftsſachen gar nicht
unwiſſend gelaſſen; allein ſie ſetzte mir zu
gleicher Zeit eine Liebe zu einer ſolchen Ga-
lanterie in den Kopf, bey der man ſehr glück-
lich eine ſtolze Närrinn werden kann. Da-
mit ſie etwas zu putzen hätte, ſo hat ſie ſich
oft in ihr Zimmer mit mir verſchloſſen, und
mir die ſchönſten Kleider und den größten
Schmuck angeleget, mich vor den Spie-
gel geführt, und mir hundertmal geſagt,
daß ich recht englich ausſähe. Wenn
dieſes geſchehen war, ſo kleidete ſie ihren
Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch
war freylich damals noch nicht alt; allein
ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich
zu nehmen, zu der unſer Geſchlecht recht
verſehn zu ſeyn ſcheinet. Aber zu meinem
Glücke ſtarb meine Frau Baſe, ehe ich
noch zehn Jahre alt war, und gab mei-
nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit,
mich deſto ſorgfältiger zu erziehen, und die
übeln Eindrücke wieder auszulöſchen, wel-
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[5/0005] Gräfinn von G ** mich zwar in Wirthſchaftsſachen gar nicht unwiſſend gelaſſen; allein ſie ſetzte mir zu gleicher Zeit eine Liebe zu einer ſolchen Ga- lanterie in den Kopf, bey der man ſehr glück- lich eine ſtolze Närrinn werden kann. Da- mit ſie etwas zu putzen hätte, ſo hat ſie ſich oft in ihr Zimmer mit mir verſchloſſen, und mir die ſchönſten Kleider und den größten Schmuck angeleget, mich vor den Spie- gel geführt, und mir hundertmal geſagt, daß ich recht englich ausſähe. Wenn dieſes geſchehen war, ſo kleidete ſie ihren Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch war freylich damals noch nicht alt; allein ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich zu nehmen, zu der unſer Geſchlecht recht verſehn zu ſeyn ſcheinet. Aber zu meinem Glücke ſtarb meine Frau Baſe, ehe ich noch zehn Jahre alt war, und gab mei- nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit, mich deſto ſorgfältiger zu erziehen, und die übeln Eindrücke wieder auszulöſchen, wel- che ihr Umgang und ihr Beyſpiel in mir gemacht A 3

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/5>, abgerufen am 29.03.2024.