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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Gräfinn von G **
sie seit anderthalb Jahren nicht gesehen,
und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge-
gönnt, den Grafen vor ihrer Abreise nach
Liefland noch einmal zu sprechen, wenn es
der Wohlstand hätte erlauben wollen.

Mein Graf verdoppelte seine Bemü-
hungen, mir zu gefallen, und der Him-
mel weis, daß er der liebenswürdigste
Mann war, den man kaum zärtlicher und
edler denken konnte. Er war vernünftig
und gesittet gewesen, ehe er ein Soldat
geworden war, und daher hatte er nicht
das geringste von dem Rohen und Wil-
den an sich genommen, das dieser Lebens-
art sonst eigen zu seyn pflegt. Er war
die Gutheit und Menschenliebe selbst, und
dennoch ward er im ganzen Hause so ge-
fürchtet, daß der kleinste Wink an seine
Leute die Wirkung des nachdrücklichsten
Befehls that. Er schien mir vollkommen
zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir
etwas abzuschlagen; er hielt alles für ge-

nehm,
Erster Theil. C

Gräfinn von G **
ſie ſeit anderthalb Jahren nicht geſehen,
und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge-
gönnt, den Grafen vor ihrer Abreiſe nach
Liefland noch einmal zu ſprechen, wenn es
der Wohlſtand hätte erlauben wollen.

Mein Graf verdoppelte ſeine Bemü-
hungen, mir zu gefallen, und der Him-
mel weis, daß er der liebenswürdigſte
Mann war, den man kaum zärtlicher und
edler denken konnte. Er war vernünftig
und geſittet geweſen, ehe er ein Soldat
geworden war, und daher hatte er nicht
das geringſte von dem Rohen und Wil-
den an ſich genommen, das dieſer Lebens-
art ſonſt eigen zu ſeyn pflegt. Er war
die Gutheit und Menſchenliebe ſelbſt, und
dennoch ward er im ganzen Hauſe ſo ge-
fürchtet, daß der kleinſte Wink an ſeine
Leute die Wirkung des nachdrücklichſten
Befehls that. Er ſchien mir vollkommen
zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir
etwas abzuſchlagen; er hielt alles für ge-

nehm,
Erſter Theil. C
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[33/0033] Gräfinn von G ** ſie ſeit anderthalb Jahren nicht geſehen, und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge- gönnt, den Grafen vor ihrer Abreiſe nach Liefland noch einmal zu ſprechen, wenn es der Wohlſtand hätte erlauben wollen. Mein Graf verdoppelte ſeine Bemü- hungen, mir zu gefallen, und der Him- mel weis, daß er der liebenswürdigſte Mann war, den man kaum zärtlicher und edler denken konnte. Er war vernünftig und geſittet geweſen, ehe er ein Soldat geworden war, und daher hatte er nicht das geringſte von dem Rohen und Wil- den an ſich genommen, das dieſer Lebens- art ſonſt eigen zu ſeyn pflegt. Er war die Gutheit und Menſchenliebe ſelbſt, und dennoch ward er im ganzen Hauſe ſo ge- fürchtet, daß der kleinſte Wink an ſeine Leute die Wirkung des nachdrücklichſten Befehls that. Er ſchien mir vollkommen zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir etwas abzuſchlagen; er hielt alles für ge- nehm, Erſter Theil. C

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/33>, abgerufen am 16.04.2024.