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Gauß, Carl Friedrich: Anzeige von 'Theoria residuorum biquadraticorum, commentatio secunda'. In: Göttingische gelehrte Anzeigen, 23. April 1831, S. 169–178.

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64. St., den 23. April 1831.
net, so ist die durch -- 1 zu bezeichnende von
selbst bestimmt, während man, welche der bei-
den andern man will, für + i wählen, oder
den sich auf + i beziehenden Punct nach Ge-
fallen rechts oder links nehmen kann. Die-
ser Unterschied zwischen rechts und links ist, so
bald man vorwärts und rückwärts in der Ebne,
und oben und unten in Beziehung auf die bei-
den Seiten der Ebne einmahl (nach Gefallen)
festgesetzt hat, in sich völlig bestimmt, wenn
wir gleich unsere Anschauung dieses Unterschie-
des andern nur durch Nachweisung an wirklich
vorhandenen materiellen Dingen mittheilen kön-
nen *). Wenn man aber auch über letzteres sich
entschlossen hat, sieht man, daß es doch von
unserer Willkühr abhing, welche von den bei-
den in Einem Puncte sich durchkreuzenden Rei-
hen wir als Hauptreihe, und welche Richtung
in ihr man als auf positive Zahlen sich bezie-
hend ansehen wollten; man sieht ferner, daß
wenn wir die vorher als + i behandelte Re-
lation für + 1 nehmen will, man nothwendig
die vorher durch -- 1 bezeichnete Relation für
+ i nehmen muß. Das heißt aber, in der
Sprache der Mathematiker, + i ist mittlere Pro-
portionalgröße zwischen + 1 und -- 1 oder ent-
spricht dem Zeichen sqrt -- 1: wir sagen absicht-
lich nicht die mittlere Proportionalgröße, denn
-- i hat offenbar gleichen Anspruch. Hier ist

*) Beide Bemerkungen hat schon Kant gemacht, aber
man begreift nicht, wie dieser scharfsinnige Philo-
soph in der ersteren einen Beweis für seine Mei-
nung, daß der Raum nur Form unserer äußern
Anschauung sey, zu finden glauben konnte, da die
zweyte so klar das Gegentheil, und daß der Raum
unabhängig von unserer Anschauungsart eine reelle
Bedeutung haben muß, beweiset.

64. St., den 23. April 1831.
net, ſo iſt die durch — 1 zu bezeichnende von
ſelbſt beſtimmt, waͤhrend man, welche der bei-
den andern man will, fuͤr + i waͤhlen, oder
den ſich auf + i beziehenden Punct nach Ge-
fallen rechts oder links nehmen kann. Die-
ſer Unterſchied zwiſchen rechts und links iſt, ſo
bald man vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts in der Ebne,
und oben und unten in Beziehung auf die bei-
den Seiten der Ebne einmahl (nach Gefallen)
feſtgeſetzt hat, in ſich voͤllig beſtimmt, wenn
wir gleich unſere Anſchauung dieſes Unterſchie-
des andern nur durch Nachweiſung an wirklich
vorhandenen materiellen Dingen mittheilen koͤn-
nen *). Wenn man aber auch uͤber letzteres ſich
entſchloſſen hat, ſieht man, daß es doch von
unſerer Willkuͤhr abhing, welche von den bei-
den in Einem Puncte ſich durchkreuzenden Rei-
hen wir als Hauptreihe, und welche Richtung
in ihr man als auf poſitive Zahlen ſich bezie-
hend anſehen wollten; man ſieht ferner, daß
wenn wir die vorher als + i behandelte Re-
lation fuͤr + 1 nehmen will, man nothwendig
die vorher durch — 1 bezeichnete Relation fuͤr
+ i nehmen muß. Das heißt aber, in der
Sprache der Mathematiker, + i iſt mittlere Pro-
portionalgroͤße zwiſchen + 1 und — 1 oder ent-
ſpricht dem Zeichen √ — 1: wir ſagen abſicht-
lich nicht die mittlere Proportionalgroͤße, denn
i hat offenbar gleichen Anſpruch. Hier iſt

*) Beide Bemerkungen hat ſchon Kant gemacht, aber
man begreift nicht, wie dieſer ſcharfſinnige Philo-
ſoph in der erſteren einen Beweis für ſeine Mei-
nung, daß der Raum nur Form unſerer äußern
Anſchauung ſey, zu finden glauben konnte, da die
zweyte ſo klar das Gegentheil, und daß der Raum
unabhängig von unſerer Anſchauungsart eine reelle
Bedeutung haben muß, beweiſet.
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[637/0020] 64. St., den 23. April 1831. net, ſo iſt die durch — 1 zu bezeichnende von ſelbſt beſtimmt, waͤhrend man, welche der bei- den andern man will, fuͤr + i waͤhlen, oder den ſich auf + i beziehenden Punct nach Ge- fallen rechts oder links nehmen kann. Die- ſer Unterſchied zwiſchen rechts und links iſt, ſo bald man vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts in der Ebne, und oben und unten in Beziehung auf die bei- den Seiten der Ebne einmahl (nach Gefallen) feſtgeſetzt hat, in ſich voͤllig beſtimmt, wenn wir gleich unſere Anſchauung dieſes Unterſchie- des andern nur durch Nachweiſung an wirklich vorhandenen materiellen Dingen mittheilen koͤn- nen *). Wenn man aber auch uͤber letzteres ſich entſchloſſen hat, ſieht man, daß es doch von unſerer Willkuͤhr abhing, welche von den bei- den in Einem Puncte ſich durchkreuzenden Rei- hen wir als Hauptreihe, und welche Richtung in ihr man als auf poſitive Zahlen ſich bezie- hend anſehen wollten; man ſieht ferner, daß wenn wir die vorher als + i behandelte Re- lation fuͤr + 1 nehmen will, man nothwendig die vorher durch — 1 bezeichnete Relation fuͤr + i nehmen muß. Das heißt aber, in der Sprache der Mathematiker, + i iſt mittlere Pro- portionalgroͤße zwiſchen + 1 und — 1 oder ent- ſpricht dem Zeichen √ — 1: wir ſagen abſicht- lich nicht die mittlere Proportionalgroͤße, denn — i hat offenbar gleichen Anſpruch. Hier iſt *) Beide Bemerkungen hat ſchon Kant gemacht, aber man begreift nicht, wie dieſer ſcharfſinnige Philo- ſoph in der erſteren einen Beweis für ſeine Mei- nung, daß der Raum nur Form unſerer äußern Anſchauung ſey, zu finden glauben konnte, da die zweyte ſo klar das Gegentheil, und daß der Raum unabhängig von unſerer Anſchauungsart eine reelle Bedeutung haben muß, beweiſet.

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Zitationshilfe: Gauß, Carl Friedrich: Anzeige von 'Theoria residuorum biquadraticorum, commentatio secunda'. In: Göttingische gelehrte Anzeigen, 23. April 1831, S. 169–178, hier S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gauss_theoria_1831/20>, abgerufen am 18.04.2024.