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Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wegen des Kindes; ich träumte fortwährend entsetzliche Dinge. -- Wie geht es der Mama?

Sie ist heute Morgen abgereis't, weil dein Vater schrieb, er habe einen heftigen Katarrh -- du kennst ihre Aengstlichkeit.

Der Graf stieg nun vom Pferde, gab es dem Bedienten und setzte sich zu seiner Frau in den Wagen, die sich in stillseliger Erwartung an seine Schulter lehnte und mit sehnsüchtigem Auge nach der Gegend blickte, wo das Schloß, welches ihren größten Schatz, ihr Kind barg, hinter Bäumen lag.

Wer den Grafen beobachtet hätte, als der Wagen auf den Schloßhof fuhr, würde über seine todtenblassen Züge erschrocken sein. -- Aller Augen aber waren auf die Gräfin gerichtet, die mit den Blicken ihr Kind suchte.

Da man dich nicht erwartet, sagte ihr Gemahl, wird dir die Wärterin das Kind nicht entgegenbringen, überdem habe ich ihr bei dem heftig wehenden Winde verboten, heute auszugehen.

Die junge Mutter flog die breite Schloßtreppe hinauf, daß ihr Gemahl ihr kaum folgen konnte. Als sie droben die Thüre des Zimmers aufstieß -- es war vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben, daß sie selbst eine Thürklinke berührte -- saß das Kind Theresens gerade auf dem Schooße der Wärterin und wurde gespeist.

Die Gräfin warf sich daneben auf die Kniee, sah ihm ins Gesicht -- und sagte dann halb traurig und

wegen des Kindes; ich träumte fortwährend entsetzliche Dinge. — Wie geht es der Mama?

Sie ist heute Morgen abgereis't, weil dein Vater schrieb, er habe einen heftigen Katarrh — du kennst ihre Aengstlichkeit.

Der Graf stieg nun vom Pferde, gab es dem Bedienten und setzte sich zu seiner Frau in den Wagen, die sich in stillseliger Erwartung an seine Schulter lehnte und mit sehnsüchtigem Auge nach der Gegend blickte, wo das Schloß, welches ihren größten Schatz, ihr Kind barg, hinter Bäumen lag.

Wer den Grafen beobachtet hätte, als der Wagen auf den Schloßhof fuhr, würde über seine todtenblassen Züge erschrocken sein. — Aller Augen aber waren auf die Gräfin gerichtet, die mit den Blicken ihr Kind suchte.

Da man dich nicht erwartet, sagte ihr Gemahl, wird dir die Wärterin das Kind nicht entgegenbringen, überdem habe ich ihr bei dem heftig wehenden Winde verboten, heute auszugehen.

Die junge Mutter flog die breite Schloßtreppe hinauf, daß ihr Gemahl ihr kaum folgen konnte. Als sie droben die Thüre des Zimmers aufstieß — es war vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben, daß sie selbst eine Thürklinke berührte — saß das Kind Theresens gerade auf dem Schooße der Wärterin und wurde gespeist.

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[0041] wegen des Kindes; ich träumte fortwährend entsetzliche Dinge. — Wie geht es der Mama? Sie ist heute Morgen abgereis't, weil dein Vater schrieb, er habe einen heftigen Katarrh — du kennst ihre Aengstlichkeit. Der Graf stieg nun vom Pferde, gab es dem Bedienten und setzte sich zu seiner Frau in den Wagen, die sich in stillseliger Erwartung an seine Schulter lehnte und mit sehnsüchtigem Auge nach der Gegend blickte, wo das Schloß, welches ihren größten Schatz, ihr Kind barg, hinter Bäumen lag. Wer den Grafen beobachtet hätte, als der Wagen auf den Schloßhof fuhr, würde über seine todtenblassen Züge erschrocken sein. — Aller Augen aber waren auf die Gräfin gerichtet, die mit den Blicken ihr Kind suchte. Da man dich nicht erwartet, sagte ihr Gemahl, wird dir die Wärterin das Kind nicht entgegenbringen, überdem habe ich ihr bei dem heftig wehenden Winde verboten, heute auszugehen. Die junge Mutter flog die breite Schloßtreppe hinauf, daß ihr Gemahl ihr kaum folgen konnte. Als sie droben die Thüre des Zimmers aufstieß — es war vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben, daß sie selbst eine Thürklinke berührte — saß das Kind Theresens gerade auf dem Schooße der Wärterin und wurde gespeist. Die Gräfin warf sich daneben auf die Kniee, sah ihm ins Gesicht — und sagte dann halb traurig und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/41>, abgerufen am 18.04.2024.