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Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.

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vom Anakreon damit zu verbinden. Um ihren Ge-
schmack für die große Beredsamkeit zu bilden, würde
ich ihnen den Demosthenes und Cicero in die Hände
geben. Man bemerke ihnen die Verschiedenheit des
Verdiensts dieser beyden großen Redner. Bey dem
ersten darf man nichts zusetzen, bey dem andern nichts
wegnehmen. Denn müßte die Lektüre der besten Lei-
chenreden des Bossuet und Flechiers, der französischen
Demosthenes und Cicero, und der Fastenpredigten
des Massilon folgen, welche voll von Zügen der er-
habensten Beredsamkeit sind. Um zu lernen, wie man
in der Geschichte schreiben müsse, würde ich den Li-
vius
, Sallustius und Tacitus empfehlen. Man müßte
die erhabene Schreibart und die Schönheit der Erzäh-
lung dieser großen Schriftsteller den jungen Lesern
recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtgläubigkeit
des Livius tadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs
ein Verzeichniß von Wundern aufführt, deren immer
eines lächerlicher ist, als das andre. Nachher konnte
man mit den jungen Leuten die Histoire universelle von
Bossuer und die Revolutions romaines von Vertot
durchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert-
son
s Geschichte Carl V. hinzusetzen. Diese Werke
würden ihren Geschmack bilden, und ihnen lehren, wie
man schreiben müsse. Hat aber ein Rektor selbst kei-
ne Kenntnisse; so wird er sich begnügen zu sagen:
Hier hat Demosthenes ein sehr starkes rednerisches

Argu-

vom Anakreon damit zu verbinden. Um ihren Ge-
ſchmack fuͤr die große Beredſamkeit zu bilden, wuͤrde
ich ihnen den Demoſthenes und Cicero in die Haͤnde
geben. Man bemerke ihnen die Verſchiedenheit des
Verdienſts dieſer beyden großen Redner. Bey dem
erſten darf man nichts zuſetzen, bey dem andern nichts
wegnehmen. Denn muͤßte die Lektuͤre der beſten Lei-
chenreden des Boſſuet und Flechiers, der franzoͤſiſchen
Demoſthenes und Cicero, und der Faſtenpredigten
des Maſſilon folgen, welche voll von Zuͤgen der er-
habenſten Beredſamkeit ſind. Um zu lernen, wie man
in der Geſchichte ſchreiben muͤſſe, wuͤrde ich den Li-
vius
, Salluſtius und Tacitus empfehlen. Man muͤßte
die erhabene Schreibart und die Schoͤnheit der Erzaͤh-
lung dieſer großen Schriftſteller den jungen Leſern
recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtglaͤubigkeit
des Livius tadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs
ein Verzeichniß von Wundern auffuͤhrt, deren immer
eines laͤcherlicher iſt, als das andre. Nachher konnte
man mit den jungen Leuten die Hiſtoire univerſelle von
Boſſuer und die Revolutions romaines von Vertot
durchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert-
ſon
s Geſchichte Carl V. hinzuſetzen. Dieſe Werke
wuͤrden ihren Geſchmack bilden, und ihnen lehren, wie
man ſchreiben muͤſſe. Hat aber ein Rektor ſelbſt kei-
ne Kenntniſſe; ſo wird er ſich begnuͤgen zu ſagen:
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[34/0040] vom Anakreon damit zu verbinden. Um ihren Ge- ſchmack fuͤr die große Beredſamkeit zu bilden, wuͤrde ich ihnen den Demoſthenes und Cicero in die Haͤnde geben. Man bemerke ihnen die Verſchiedenheit des Verdienſts dieſer beyden großen Redner. Bey dem erſten darf man nichts zuſetzen, bey dem andern nichts wegnehmen. Denn muͤßte die Lektuͤre der beſten Lei- chenreden des Boſſuet und Flechiers, der franzoͤſiſchen Demoſthenes und Cicero, und der Faſtenpredigten des Maſſilon folgen, welche voll von Zuͤgen der er- habenſten Beredſamkeit ſind. Um zu lernen, wie man in der Geſchichte ſchreiben muͤſſe, wuͤrde ich den Li- vius, Salluſtius und Tacitus empfehlen. Man muͤßte die erhabene Schreibart und die Schoͤnheit der Erzaͤh- lung dieſer großen Schriftſteller den jungen Leſern recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtglaͤubigkeit des Livius tadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs ein Verzeichniß von Wundern auffuͤhrt, deren immer eines laͤcherlicher iſt, als das andre. Nachher konnte man mit den jungen Leuten die Hiſtoire univerſelle von Boſſuer und die Revolutions romaines von Vertot durchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert- ſons Geſchichte Carl V. hinzuſetzen. Dieſe Werke wuͤrden ihren Geſchmack bilden, und ihnen lehren, wie man ſchreiben muͤſſe. Hat aber ein Rektor ſelbſt kei- ne Kenntniſſe; ſo wird er ſich begnuͤgen zu ſagen: Hier hat Demoſthenes ein ſehr ſtarkes redneriſches Argu-

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Zitationshilfe: Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/40>, abgerufen am 19.04.2024.