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Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.

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Crassus, zwey berühmte Redner ihrer Zeit. Doch ge-
langten die Sprache und der Styl der römischen Be-
redsamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten
des Cicero, des Hortensius, und der vortrefflichen Ge-
nies, welche die Zierde der Regierung Augusts waren.

Diese kurze Uebersicht bezeichnet mir den natür-
lichen Gang der Litteratur. Ich bin überzeugt, daß
kein Schriftsteller gut in einer Sprache schreiben kön-
ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert ist. Ich
sehe auch, daß man in allen Ländern mit dem Noth-
wendigen anfängt, und erst nachher das Angenehme
hinzufügt. Die römische Republik fängt damit an,
sich zu bilden; dann kämpft sie, um Länder zu bekom-
men; dann sucht sie dieselben anzubauen; und nicht
eher, bis sie nach den Punischen Kriegen, eine feste und
dauerhafte Verfassung erhalten, entsteht der Geschmack
für die Künste, und gelangt die lateinische Sprache und
Beredsamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be-
merke aber hiebey, daß zwischen dem Zeitalter des äl-
tern Scipio und dem Consulat des Cicero sich ein Zeit-
raum von hundert und sechzig Jahren befindet. Ich
schließe hieraus, daß die Fortschritte zur Vollkommen-
heit in allen Dingen, langsam sind, und daß der Kern,
den man in die Erde pflanzt, erst Wurzel fassen, her-
vorkeimen, seine Zweige ausbreiten, Kraft und Stärke
gewinnen müsse, ehe er Blumen und Früchte hervor-
bringen könne. Ich beurtheile dann Deutschland nach

diesen
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Craſſus, zwey beruͤhmte Redner ihrer Zeit. Doch ge-
langten die Sprache und der Styl der roͤmiſchen Be-
redſamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten
des Cicero, des Hortenſius, und der vortrefflichen Ge-
nies, welche die Zierde der Regierung Auguſts waren.

Dieſe kurze Ueberſicht bezeichnet mir den natuͤr-
lichen Gang der Litteratur. Ich bin uͤberzeugt, daß
kein Schriftſteller gut in einer Sprache ſchreiben koͤn-
ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert iſt. Ich
ſehe auch, daß man in allen Laͤndern mit dem Noth-
wendigen anfaͤngt, und erſt nachher das Angenehme
hinzufuͤgt. Die roͤmiſche Republik faͤngt damit an,
ſich zu bilden; dann kaͤmpft ſie, um Laͤnder zu bekom-
men; dann ſucht ſie dieſelben anzubauen; und nicht
eher, bis ſie nach den Puniſchen Kriegen, eine feſte und
dauerhafte Verfaſſung erhalten, entſteht der Geſchmack
fuͤr die Kuͤnſte, und gelangt die lateiniſche Sprache und
Beredſamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be-
merke aber hiebey, daß zwiſchen dem Zeitalter des aͤl-
tern Scipio und dem Conſulat des Cicero ſich ein Zeit-
raum von hundert und ſechzig Jahren befindet. Ich
ſchließe hieraus, daß die Fortſchritte zur Vollkommen-
heit in allen Dingen, langſam ſind, und daß der Kern,
den man in die Erde pflanzt, erſt Wurzel faſſen, her-
vorkeimen, ſeine Zweige ausbreiten, Kraft und Staͤrke
gewinnen muͤſſe, ehe er Blumen und Fruͤchte hervor-
bringen koͤnne. Ich beurtheile dann Deutſchland nach

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[5/0011] Craſſus, zwey beruͤhmte Redner ihrer Zeit. Doch ge- langten die Sprache und der Styl der roͤmiſchen Be- redſamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten des Cicero, des Hortenſius, und der vortrefflichen Ge- nies, welche die Zierde der Regierung Auguſts waren. Dieſe kurze Ueberſicht bezeichnet mir den natuͤr- lichen Gang der Litteratur. Ich bin uͤberzeugt, daß kein Schriftſteller gut in einer Sprache ſchreiben koͤn- ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert iſt. Ich ſehe auch, daß man in allen Laͤndern mit dem Noth- wendigen anfaͤngt, und erſt nachher das Angenehme hinzufuͤgt. Die roͤmiſche Republik faͤngt damit an, ſich zu bilden; dann kaͤmpft ſie, um Laͤnder zu bekom- men; dann ſucht ſie dieſelben anzubauen; und nicht eher, bis ſie nach den Puniſchen Kriegen, eine feſte und dauerhafte Verfaſſung erhalten, entſteht der Geſchmack fuͤr die Kuͤnſte, und gelangt die lateiniſche Sprache und Beredſamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be- merke aber hiebey, daß zwiſchen dem Zeitalter des aͤl- tern Scipio und dem Conſulat des Cicero ſich ein Zeit- raum von hundert und ſechzig Jahren befindet. Ich ſchließe hieraus, daß die Fortſchritte zur Vollkommen- heit in allen Dingen, langſam ſind, und daß der Kern, den man in die Erde pflanzt, erſt Wurzel faſſen, her- vorkeimen, ſeine Zweige ausbreiten, Kraft und Staͤrke gewinnen muͤſſe, ehe er Blumen und Fruͤchte hervor- bringen koͤnne. Ich beurtheile dann Deutſchland nach dieſen A 3

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Zitationshilfe: Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/11>, abgerufen am 18.04.2024.