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Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50.

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Über Sinn und Bedeutung.

Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens ist die
mit ihm verknüpfte Vorstellung zu unterscheiden. Wenn die Be¬
deutung eines Zeichens ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand
ist, so ist meine Vorstellung davon ein aus Erinnerungen von
Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Thätigkeiten, innern
sowohl wie äußern, die ich ausgeübt habe, entstandenes inneres
Bild*), Dieses ist oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit
seiner einzelnen Theile ist verschieden und schwankend. Nicht
immer ist, auch bei demselben Menschen, dieselbe Vorstellung mit
demselben Sinne verbunden. Die Vorstellung ist subjectiv: die
Vorstellung des Einen ist nicht die des Andern. Damit sind von
selbst manigfache Unterschiede der mit demselben Sinne verknüpften
Vorstellungen gegeben. Ein Maler, ein Reiter, ein Zoologe werden
wahrscheinlich sehr verschiedene Vorstellungen mit dem Namen
"Bucephalus" verbinden. Die Vorstellung unterscheidet sich da¬
durch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemein¬
sames Eigenthum von Vielen sein kann und also nicht Theil oder
Modus der Einzelseele ist; denn man wird wohl nicht leugnen
können, daß die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Ge¬
danken hat, den sie von einem Geschlechte auf das andere über¬
trägt **).

Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem
Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man bei der Vorstellung genau
genommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit.
Man könnte vielleicht sagen; ebensogut, wie mit demselben Worte
der Eine diese, der Andere jene Vorstellung verbindet, kann auch
der Eine diesen, der Andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch
besteht der Unterschied dann doch nur in der Weise dieser Ver¬
knüpfung. Das hindert nicht, daß beide denselben Sinn auffassen;

*) Wir können mit den Vorstellungen gleich die Anschauungen zu¬
sammennehmen, bei denen die Sinneseindrücke und Thätigkeiten selbst an
die Stelle der Spuren treten, die sie in der Seele zurückgelassen haben. Der
Unterschied ist für unsern Zweck unerheblich, zumal wohl immer neben den
Empfindungen und Thätigkeiten Erinnerungen von solchen das Anschauungs¬
bild vollenden helfen. Man kann unter Anschauung aber auch einen Gegen¬
stand verstehen, sofern er sinnlich wahrnehmbar oder räumlich ist.
**) Darum ist es unzweckmäßig, mit dem Worte "Vorstellung" so Grund¬
verschiedenes zu bezeichnen.
Über Sinn und Bedeutung.

Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens iſt die
mit ihm verknüpfte Vorſtellung zu unterſcheiden. Wenn die Be¬
deutung eines Zeichens ein ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtand
iſt, ſo iſt meine Vorſtellung davon ein aus Erinnerungen von
Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Thätigkeiten, innern
ſowohl wie äußern, die ich ausgeübt habe, entſtandenes inneres
Bild*), Dieſes iſt oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit
ſeiner einzelnen Theile iſt verſchieden und ſchwankend. Nicht
immer iſt, auch bei demſelben Menſchen, dieſelbe Vorſtellung mit
demſelben Sinne verbunden. Die Vorſtellung iſt ſubjectiv: die
Vorſtellung des Einen iſt nicht die des Andern. Damit ſind von
ſelbſt manigfache Unterſchiede der mit demſelben Sinne verknüpften
Vorſtellungen gegeben. Ein Maler, ein Reiter, ein Zoologe werden
wahrſcheinlich ſehr verſchiedene Vorſtellungen mit dem Namen
„Bucephalus” verbinden. Die Vorſtellung unterſcheidet ſich da¬
durch weſentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemein¬
ſames Eigenthum von Vielen ſein kann und alſo nicht Theil oder
Modus der Einzelſeele iſt; denn man wird wohl nicht leugnen
können, daß die Menſchheit einen gemeinſamen Schatz von Ge¬
danken hat, den ſie von einem Geſchlechte auf das andere über¬
trägt **).

Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem
Sinne ſchlechtweg zu ſprechen, muß man bei der Vorſtellung genau
genommen hinzufügen, wem ſie angehört und zu welcher Zeit.
Man könnte vielleicht ſagen; ebenſogut, wie mit demſelben Worte
der Eine dieſe, der Andere jene Vorſtellung verbindet, kann auch
der Eine dieſen, der Andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch
beſteht der Unterſchied dann doch nur in der Weiſe dieſer Ver¬
knüpfung. Das hindert nicht, daß beide denſelben Sinn auffaſſen;

*) Wir können mit den Vorſtellungen gleich die Anſchauungen zu¬
ſammennehmen, bei denen die Sinneseindrücke und Thätigkeiten ſelbſt an
die Stelle der Spuren treten, die ſie in der Seele zurückgelaſſen haben. Der
Unterſchied iſt für unſern Zweck unerheblich, zumal wohl immer neben den
Empfindungen und Thätigkeiten Erinnerungen von ſolchen das Anſchauungs¬
bild vollenden helfen. Man kann unter Anſchauung aber auch einen Gegen¬
ſtand verſtehen, ſofern er ſinnlich wahrnehmbar oder räumlich iſt.
**) Darum iſt es unzweckmäßig, mit dem Worte „Vorſtellung“ ſo Grund¬
verſchiedenes zu bezeichnen.
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[29/0025] Über Sinn und Bedeutung. Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens iſt die mit ihm verknüpfte Vorſtellung zu unterſcheiden. Wenn die Be¬ deutung eines Zeichens ein ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtand iſt, ſo iſt meine Vorſtellung davon ein aus Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Thätigkeiten, innern ſowohl wie äußern, die ich ausgeübt habe, entſtandenes inneres Bild *), Dieſes iſt oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit ſeiner einzelnen Theile iſt verſchieden und ſchwankend. Nicht immer iſt, auch bei demſelben Menſchen, dieſelbe Vorſtellung mit demſelben Sinne verbunden. Die Vorſtellung iſt ſubjectiv: die Vorſtellung des Einen iſt nicht die des Andern. Damit ſind von ſelbſt manigfache Unterſchiede der mit demſelben Sinne verknüpften Vorſtellungen gegeben. Ein Maler, ein Reiter, ein Zoologe werden wahrſcheinlich ſehr verſchiedene Vorſtellungen mit dem Namen „Bucephalus” verbinden. Die Vorſtellung unterſcheidet ſich da¬ durch weſentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemein¬ ſames Eigenthum von Vielen ſein kann und alſo nicht Theil oder Modus der Einzelſeele iſt; denn man wird wohl nicht leugnen können, daß die Menſchheit einen gemeinſamen Schatz von Ge¬ danken hat, den ſie von einem Geſchlechte auf das andere über¬ trägt **). Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne ſchlechtweg zu ſprechen, muß man bei der Vorſtellung genau genommen hinzufügen, wem ſie angehört und zu welcher Zeit. Man könnte vielleicht ſagen; ebenſogut, wie mit demſelben Worte der Eine dieſe, der Andere jene Vorſtellung verbindet, kann auch der Eine dieſen, der Andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch beſteht der Unterſchied dann doch nur in der Weiſe dieſer Ver¬ knüpfung. Das hindert nicht, daß beide denſelben Sinn auffaſſen; *) Wir können mit den Vorſtellungen gleich die Anſchauungen zu¬ ſammennehmen, bei denen die Sinneseindrücke und Thätigkeiten ſelbſt an die Stelle der Spuren treten, die ſie in der Seele zurückgelaſſen haben. Der Unterſchied iſt für unſern Zweck unerheblich, zumal wohl immer neben den Empfindungen und Thätigkeiten Erinnerungen von ſolchen das Anſchauungs¬ bild vollenden helfen. Man kann unter Anſchauung aber auch einen Gegen¬ ſtand verſtehen, ſofern er ſinnlich wahrnehmbar oder räumlich iſt. **) Darum iſt es unzweckmäßig, mit dem Worte „Vorſtellung“ ſo Grund¬ verſchiedenes zu bezeichnen.

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Zitationshilfe: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/25>, abgerufen am 20.04.2024.