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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Tochter ihre Freundin sein? Rühmt nicht die ganze
Stadt ihre gradezu scheue Zurückhaltung seit jenem
heillosen Donnerstagabend, an dessen Ausgelassenheit
das arme Kind wahrlich geringere Schuld als wir
Anderen samt und sonders getragen hat? Daß sie
bis jetzt keine übermäßige Passion für den Herrn
Bräutigam empfindet, darüber wird er selber am besten
im Reinen sein, er ist kein Apollo, unser Mosjö
Per--se! Aber nur erst unter die Haube und an den
eigenen Heerd. Einer, wie der Faber, fühlt sich
Manns genug, um ein Frauenherzchen in Beschlag
zu nehmen. Klug, wie er ist, schont er die bängliche
Laune einer kurzen Uebergangszeit; zeigt sich der
Kleinen nur in flüchtigen Besuchen, liebreich, ohne
Zärtlichkeit, mit offener Hand und im Nimbus eines
gefeierten Namens. Alles drängt sich um den merk¬
würdigen Heimathsfreund. Die Kunde seiner Rückkehr
hat sich wie ein Lauffeuer in der Gegend verbreitet.
Meilenweit ziehen sie einher, alte und neue Schäden
von dem Wunderdoctor heilen zu lassen. Im Fluge
sind etliche schwere Operationen absolvirt worden.
Nun soll aber auch den alten Bekanntschaften ein
Gruß und Lebewohl gebracht werden, bis zum Schinder
hinab, den er seinen ersten Professor nennt. Kurz

Tochter ihre Freundin ſein? Rühmt nicht die ganze
Stadt ihre gradezu ſcheue Zurückhaltung ſeit jenem
heilloſen Donnerſtagabend, an deſſen Ausgelaſſenheit
das arme Kind wahrlich geringere Schuld als wir
Anderen ſamt und ſonders getragen hat? Daß ſie
bis jetzt keine übermäßige Paſſion für den Herrn
Bräutigam empfindet, darüber wird er ſelber am beſten
im Reinen ſein, er iſt kein Apollo, unſer Mosjö
Per—ſé! Aber nur erſt unter die Haube und an den
eigenen Heerd. Einer, wie der Faber, fühlt ſich
Manns genug, um ein Frauenherzchen in Beſchlag
zu nehmen. Klug, wie er iſt, ſchont er die bängliche
Laune einer kurzen Uebergangszeit; zeigt ſich der
Kleinen nur in flüchtigen Beſuchen, liebreich, ohne
Zärtlichkeit, mit offener Hand und im Nimbus eines
gefeierten Namens. Alles drängt ſich um den merk¬
würdigen Heimathsfreund. Die Kunde ſeiner Rückkehr
hat ſich wie ein Lauffeuer in der Gegend verbreitet.
Meilenweit ziehen ſie einher, alte und neue Schäden
von dem Wunderdoctor heilen zu laſſen. Im Fluge
ſind etliche ſchwere Operationen abſolvirt worden.
Nun ſoll aber auch den alten Bekanntſchaften ein
Gruß und Lebewohl gebracht werden, bis zum Schinder
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[91/0095] Tochter ihre Freundin ſein? Rühmt nicht die ganze Stadt ihre gradezu ſcheue Zurückhaltung ſeit jenem heilloſen Donnerſtagabend, an deſſen Ausgelaſſenheit das arme Kind wahrlich geringere Schuld als wir Anderen ſamt und ſonders getragen hat? Daß ſie bis jetzt keine übermäßige Paſſion für den Herrn Bräutigam empfindet, darüber wird er ſelber am beſten im Reinen ſein, er iſt kein Apollo, unſer Mosjö Per—ſé! Aber nur erſt unter die Haube und an den eigenen Heerd. Einer, wie der Faber, fühlt ſich Manns genug, um ein Frauenherzchen in Beſchlag zu nehmen. Klug, wie er iſt, ſchont er die bängliche Laune einer kurzen Uebergangszeit; zeigt ſich der Kleinen nur in flüchtigen Beſuchen, liebreich, ohne Zärtlichkeit, mit offener Hand und im Nimbus eines gefeierten Namens. Alles drängt ſich um den merk¬ würdigen Heimathsfreund. Die Kunde ſeiner Rückkehr hat ſich wie ein Lauffeuer in der Gegend verbreitet. Meilenweit ziehen ſie einher, alte und neue Schäden von dem Wunderdoctor heilen zu laſſen. Im Fluge ſind etliche ſchwere Operationen abſolvirt worden. Nun ſoll aber auch den alten Bekanntſchaften ein Gruß und Lebewohl gebracht werden, bis zum Schinder hinab, den er ſeinen erſten Profeſſor nennt. Kurz

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/95>, abgerufen am 19.04.2024.