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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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ner vorjährigen italienischen Gloria. Dieser Augen¬
zeuge, mit dem ich kürzlich meine kleine Er¬
holungsreise antrat, ist ein Mann meines Fachs,
der seit etlichen Wochen unser nach Curiositäten so
lüsternes Berliner Völkchen in ein wahrhaftes Fieber
versetzt, und, wennschon mir ein gefährlicher Rival,
in der That verdient, als merkwürdiges Beispiel auf¬
geführt zu werden, wie eine superiore Natur das rohe,
blutige Treiben der Gegenwart als Bildungsstoff für
einen eng begränzten, friedfertigen Beruf mit Geschick
und Glück zu verwerthen vermag.

"Denken Sie sich, mein Herr, einen blutjungen,
sächsischen Barbier, lediglich als Autodidact in einer
mühsam aufgesuchten Praxis geschult, der in Preu¬
ßens kriegerischen Rüstungen einen günstigen Spiel¬
raum für sein Streben ahnt und durch die glücklich¬
sten Begegnungen findet. Die heillosen Feldzüge von
92 und 93 geben Gelegenheit, sein Talent und seinen
Eifer in ein helles Licht zu setzen. Er, der keiner
Facultät immatriculirt gewesen ist, kein Examen ab¬
solvirt hat, geht aus den verpesteten Lazarethen jener
Tage als Regimentsarzt hervor; hochgestellte Herren
verdanken ihm Hülfe und Heilung, man eröffnet ihm
weittragende Aussichten auch in friedlichen Zeiten.

ner vorjährigen italieniſchen Gloria. Dieſer Augen¬
zeuge, mit dem ich kürzlich meine kleine Er¬
holungsreiſe antrat, iſt ein Mann meines Fachs,
der ſeit etlichen Wochen unſer nach Curioſitäten ſo
lüſternes Berliner Völkchen in ein wahrhaftes Fieber
verſetzt, und, wennſchon mir ein gefährlicher Rival,
in der That verdient, als merkwürdiges Beiſpiel auf¬
geführt zu werden, wie eine ſuperiore Natur das rohe,
blutige Treiben der Gegenwart als Bildungsſtoff für
einen eng begränzten, friedfertigen Beruf mit Geſchick
und Glück zu verwerthen vermag.

„Denken Sie ſich, mein Herr, einen blutjungen,
ſächſiſchen Barbier, lediglich als Autodidact in einer
mühſam aufgeſuchten Praxis geſchult, der in Preu¬
ßens kriegeriſchen Rüſtungen einen günſtigen Spiel¬
raum für ſein Streben ahnt und durch die glücklich¬
ſten Begegnungen findet. Die heilloſen Feldzüge von
92 und 93 geben Gelegenheit, ſein Talent und ſeinen
Eifer in ein helles Licht zu ſetzen. Er, der keiner
Facultät immatriculirt geweſen iſt, kein Examen ab¬
ſolvirt hat, geht aus den verpeſteten Lazarethen jener
Tage als Regimentsarzt hervor; hochgeſtellte Herren
verdanken ihm Hülfe und Heilung, man eröffnet ihm
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[72/0076] ner vorjährigen italieniſchen Gloria. Dieſer Augen¬ zeuge, mit dem ich kürzlich meine kleine Er¬ holungsreiſe antrat, iſt ein Mann meines Fachs, der ſeit etlichen Wochen unſer nach Curioſitäten ſo lüſternes Berliner Völkchen in ein wahrhaftes Fieber verſetzt, und, wennſchon mir ein gefährlicher Rival, in der That verdient, als merkwürdiges Beiſpiel auf¬ geführt zu werden, wie eine ſuperiore Natur das rohe, blutige Treiben der Gegenwart als Bildungsſtoff für einen eng begränzten, friedfertigen Beruf mit Geſchick und Glück zu verwerthen vermag. „Denken Sie ſich, mein Herr, einen blutjungen, ſächſiſchen Barbier, lediglich als Autodidact in einer mühſam aufgeſuchten Praxis geſchult, der in Preu¬ ßens kriegeriſchen Rüſtungen einen günſtigen Spiel¬ raum für ſein Streben ahnt und durch die glücklich¬ ſten Begegnungen findet. Die heilloſen Feldzüge von 92 und 93 geben Gelegenheit, ſein Talent und ſeinen Eifer in ein helles Licht zu ſetzen. Er, der keiner Facultät immatriculirt geweſen iſt, kein Examen ab¬ ſolvirt hat, geht aus den verpeſteten Lazarethen jener Tage als Regimentsarzt hervor; hochgeſtellte Herren verdanken ihm Hülfe und Heilung, man eröffnet ihm weittragende Ausſichten auch in friedlichen Zeiten.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/76>, abgerufen am 25.04.2024.