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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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dener Kutsche seiner fernerweitigen Reisegelegenheit
entgegengeschaukelt zu werden, wußte sie den kleinen
Plebejer zu entziehen. Sie karrte ihn bei Nacht und
Nebel in einem Handwägelchen nach der Station,
nachdem sie ihm, wie ich stark vermuthe, ein Mohn¬
säftchen einfiltrirt hatte. Ihr letztes Wort, als sie den
Schlafenden neben mich in den Einspänner hob, war
die Warnung, mich beileibe nicht mit dem Kinde der
Heimlichkeit einzulassen.

Wie nun der kleine Waldmensch beim Erwachen
in dem engen Gehäuse ungeberdig tobte, das werden
Euch August Müller's beigeheftete Erinnerungen an¬
schaulich vorführen. Auch gegen die bändigenden Pro¬
ceduren soll kein Widerspruch erhoben werden. Je¬
denfalls wählte er für uns Beide das bequemste Theil,
indem er die langweilige Fahrt fast ohne Unterbrechung
verschlief.

Der letzte Brief seines künftigen Pflegevaters da¬
tirte von einem thüringischen Gebirgsdorfe, in wel¬
chem er der Einführung seines Sohnes in dessen er¬
stes Pfarramt beigewohnt und gleichzeitig die Freude
gehabt hatte, dem betrübten Liebhaber, unserem Taube,
eine heitere Lebensstellung auszumitteln. Ein Lehrer-
und Organistenamt in einer kleinen, wohlgesitteten

dener Kutſche ſeiner fernerweitigen Reiſegelegenheit
entgegengeſchaukelt zu werden, wußte ſie den kleinen
Plebejer zu entziehen. Sie karrte ihn bei Nacht und
Nebel in einem Handwägelchen nach der Station,
nachdem ſie ihm, wie ich ſtark vermuthe, ein Mohn¬
ſäftchen einfiltrirt hatte. Ihr letztes Wort, als ſie den
Schlafenden neben mich in den Einſpänner hob, war
die Warnung, mich beileibe nicht mit dem Kinde der
Heimlichkeit einzulaſſen.

Wie nun der kleine Waldmenſch beim Erwachen
in dem engen Gehäuſe ungeberdig tobte, das werden
Euch Auguſt Müller's beigeheftete Erinnerungen an¬
ſchaulich vorführen. Auch gegen die bändigenden Pro¬
ceduren ſoll kein Widerſpruch erhoben werden. Je¬
denfalls wählte er für uns Beide das bequemſte Theil,
indem er die langweilige Fahrt faſt ohne Unterbrechung
verſchlief.

Der letzte Brief ſeines künftigen Pflegevaters da¬
tirte von einem thüringiſchen Gebirgsdorfe, in wel¬
chem er der Einführung ſeines Sohnes in deſſen er¬
ſtes Pfarramt beigewohnt und gleichzeitig die Freude
gehabt hatte, dem betrübten Liebhaber, unſerem Taube,
eine heitere Lebensſtellung auszumitteln. Ein Lehrer-
und Organiſtenamt in einer kleinen, wohlgeſitteten

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[66/0070] dener Kutſche ſeiner fernerweitigen Reiſegelegenheit entgegengeſchaukelt zu werden, wußte ſie den kleinen Plebejer zu entziehen. Sie karrte ihn bei Nacht und Nebel in einem Handwägelchen nach der Station, nachdem ſie ihm, wie ich ſtark vermuthe, ein Mohn¬ ſäftchen einfiltrirt hatte. Ihr letztes Wort, als ſie den Schlafenden neben mich in den Einſpänner hob, war die Warnung, mich beileibe nicht mit dem Kinde der Heimlichkeit einzulaſſen. Wie nun der kleine Waldmenſch beim Erwachen in dem engen Gehäuſe ungeberdig tobte, das werden Euch Auguſt Müller's beigeheftete Erinnerungen an¬ ſchaulich vorführen. Auch gegen die bändigenden Pro¬ ceduren ſoll kein Widerſpruch erhoben werden. Je¬ denfalls wählte er für uns Beide das bequemſte Theil, indem er die langweilige Fahrt faſt ohne Unterbrechung verſchlief. Der letzte Brief ſeines künftigen Pflegevaters da¬ tirte von einem thüringiſchen Gebirgsdorfe, in wel¬ chem er der Einführung ſeines Sohnes in deſſen er¬ ſtes Pfarramt beigewohnt und gleichzeitig die Freude gehabt hatte, dem betrübten Liebhaber, unſerem Taube, eine heitere Lebensſtellung auszumitteln. Ein Lehrer- und Organiſtenamt in einer kleinen, wohlgeſitteten

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/70>, abgerufen am 29.03.2024.