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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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entrückt. Anfangs glaubte man ihn, im Gefolge des
Königs, der ihn persönlich hatte schätzen lernen, auf
das vor Kurzem so schmählich erworbene polnische Ge¬
biet verpflanzt. Da diese Meinung aber sich als
Irrthum erwies, sahen die Einen ihn verwundet in
Feindes Hand, die Anderen ihn von erbitterten Ge¬
birgsbauern abgefangen. Die Mehrzahl hielt ihn für
geblieben, wenngleich sein Leichnam von den das Ter¬
rain innehaltenden Siegern nicht aufgefunden werden
konnte. Alle aber beklagten die Lücke, welche durch
des immerbereiten Helfers Fehlen entstanden war.
Auch als mein Vater nach drei Jahren, wohlbehalten
und mit dem Verdienstorden belohnt, aber kopfhängerisch
wie alle Theilnehmer dieser unfruchtbaren Campagne
zurückkehrte, wußte er keine Spur von dem Verschollenen
anzudeuten. Bald war er unter seinen Heimaths¬
bürgern ein todter, vergessener Mann und Niemand
würde es seiner bräutlichen Wittwe verargt haben,
hätte sie, zu Gunsten eines Anderen, über ihre be¬
gehrenswerthe Person und das Anwesen der alten Fa¬
berei verfügen wollen.

Ich hatte in unserer bänglichen Stimmung meine
Mutter während des Feldzugs nicht verlassen wollen
und nur auf beider Eltern dringende Vorstellung mich

entrückt. Anfangs glaubte man ihn, im Gefolge des
Königs, der ihn perſönlich hatte ſchätzen lernen, auf
das vor Kurzem ſo ſchmählich erworbene polniſche Ge¬
biet verpflanzt. Da dieſe Meinung aber ſich als
Irrthum erwies, ſahen die Einen ihn verwundet in
Feindes Hand, die Anderen ihn von erbitterten Ge¬
birgsbauern abgefangen. Die Mehrzahl hielt ihn für
geblieben, wenngleich ſein Leichnam von den das Ter¬
rain innehaltenden Siegern nicht aufgefunden werden
konnte. Alle aber beklagten die Lücke, welche durch
des immerbereiten Helfers Fehlen entſtanden war.
Auch als mein Vater nach drei Jahren, wohlbehalten
und mit dem Verdienſtorden belohnt, aber kopfhängeriſch
wie alle Theilnehmer dieſer unfruchtbaren Campagne
zurückkehrte, wußte er keine Spur von dem Verſchollenen
anzudeuten. Bald war er unter ſeinen Heimaths¬
bürgern ein todter, vergeſſener Mann und Niemand
würde es ſeiner bräutlichen Wittwe verargt haben,
hätte ſie, zu Gunſten eines Anderen, über ihre be¬
gehrenswerthe Perſon und das Anweſen der alten Fa¬
berei verfügen wollen.

Ich hatte in unſerer bänglichen Stimmung meine
Mutter während des Feldzugs nicht verlaſſen wollen
und nur auf beider Eltern dringende Vorſtellung mich

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[50/0054] entrückt. Anfangs glaubte man ihn, im Gefolge des Königs, der ihn perſönlich hatte ſchätzen lernen, auf das vor Kurzem ſo ſchmählich erworbene polniſche Ge¬ biet verpflanzt. Da dieſe Meinung aber ſich als Irrthum erwies, ſahen die Einen ihn verwundet in Feindes Hand, die Anderen ihn von erbitterten Ge¬ birgsbauern abgefangen. Die Mehrzahl hielt ihn für geblieben, wenngleich ſein Leichnam von den das Ter¬ rain innehaltenden Siegern nicht aufgefunden werden konnte. Alle aber beklagten die Lücke, welche durch des immerbereiten Helfers Fehlen entſtanden war. Auch als mein Vater nach drei Jahren, wohlbehalten und mit dem Verdienſtorden belohnt, aber kopfhängeriſch wie alle Theilnehmer dieſer unfruchtbaren Campagne zurückkehrte, wußte er keine Spur von dem Verſchollenen anzudeuten. Bald war er unter ſeinen Heimaths¬ bürgern ein todter, vergeſſener Mann und Niemand würde es ſeiner bräutlichen Wittwe verargt haben, hätte ſie, zu Gunſten eines Anderen, über ihre be¬ gehrenswerthe Perſon und das Anweſen der alten Fa¬ berei verfügen wollen. Ich hatte in unſerer bänglichen Stimmung meine Mutter während des Feldzugs nicht verlaſſen wollen und nur auf beider Eltern dringende Vorſtellung mich

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/54>, abgerufen am 29.03.2024.