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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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und ist unter seiner mütterlichen Familie gesetzmäßig
durch den Prediger in das Kirchenregister eingetragen
worden. Niemand würde leichtlich diesen Namen in
den Annalen unseres wüsten Walddörfchens gesucht
und aufgefunden haben. Als aber etliche Jahre spä¬
ter der Blitz die Kirchenbücher in der Sacristei ver¬
nichtete, da gab es nur noch ein einziges Dokument
über August Müllers Geburt und Ihr werdet es
an einer anderen Stelle dieser Blätter beigeheftet
finden.

So lange Dorothee Bett und Zimmer hütete und
ihren Knaben an ihrer Seite liegen sah, hegte sie kein
Verlangen, als so lange als möglich in Reckenburg
zu weilen und sich späterhin irgendwo häuslich mit
ihm einzurichten. "Was kümmern mich die Leute!"
entgegnete sie lächelnd den Einwänden der Muhme.
"Ich habe ja mein Kind!" Die Muhme aber blieb
brummend bei ihrem Satz: "Schnickschnack Kind! Sel¬
ber noch ein Kind! Die braucht einen Mann und
nicht ein Kind!"

Ich schalt darüber heimlich und laut mit meiner
alten Getreuen, zumal als sie auch nach Dorotheens
Herstellung die Pflege des Knaben ausschließlich in
ihrer Hand behielt und ihre Hintergedanken bei dieser

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und iſt unter ſeiner mütterlichen Familie geſetzmäßig
durch den Prediger in das Kirchenregiſter eingetragen
worden. Niemand würde leichtlich dieſen Namen in
den Annalen unſeres wüſten Walddörfchens geſucht
und aufgefunden haben. Als aber etliche Jahre ſpä¬
ter der Blitz die Kirchenbücher in der Sacriſtei ver¬
nichtete, da gab es nur noch ein einziges Dokument
über Auguſt Müllers Geburt und Ihr werdet es
an einer anderen Stelle dieſer Blätter beigeheftet
finden.

So lange Dorothee Bett und Zimmer hütete und
ihren Knaben an ihrer Seite liegen ſah, hegte ſie kein
Verlangen, als ſo lange als möglich in Reckenburg
zu weilen und ſich ſpäterhin irgendwo häuslich mit
ihm einzurichten. „Was kümmern mich die Leute!“
entgegnete ſie lächelnd den Einwänden der Muhme.
„Ich habe ja mein Kind!“ Die Muhme aber blieb
brummend bei ihrem Satz: „Schnickſchnack Kind! Sel¬
ber noch ein Kind! Die braucht einen Mann und
nicht ein Kind!“

Ich ſchalt darüber heimlich und laut mit meiner
alten Getreuen, zumal als ſie auch nach Dorotheens
Herſtellung die Pflege des Knaben ausſchließlich in
ihrer Hand behielt und ihre Hintergedanken bei dieſer

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[35/0039] und iſt unter ſeiner mütterlichen Familie geſetzmäßig durch den Prediger in das Kirchenregiſter eingetragen worden. Niemand würde leichtlich dieſen Namen in den Annalen unſeres wüſten Walddörfchens geſucht und aufgefunden haben. Als aber etliche Jahre ſpä¬ ter der Blitz die Kirchenbücher in der Sacriſtei ver¬ nichtete, da gab es nur noch ein einziges Dokument über Auguſt Müllers Geburt und Ihr werdet es an einer anderen Stelle dieſer Blätter beigeheftet finden. So lange Dorothee Bett und Zimmer hütete und ihren Knaben an ihrer Seite liegen ſah, hegte ſie kein Verlangen, als ſo lange als möglich in Reckenburg zu weilen und ſich ſpäterhin irgendwo häuslich mit ihm einzurichten. „Was kümmern mich die Leute!“ entgegnete ſie lächelnd den Einwänden der Muhme. „Ich habe ja mein Kind!“ Die Muhme aber blieb brummend bei ihrem Satz: „Schnickſchnack Kind! Sel¬ ber noch ein Kind! Die braucht einen Mann und nicht ein Kind!“ Ich ſchalt darüber heimlich und laut mit meiner alten Getreuen, zumal als ſie auch nach Dorotheens Herſtellung die Pflege des Knaben ausſchließlich in ihrer Hand behielt und ihre Hintergedanken bei dieſer 3*

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/39>, abgerufen am 28.03.2024.