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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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verfolgen von der Wiege bis zum Grabe. Wir schüt¬
teln die rauhe Hand, die mit uns arbeitet an der Um¬
bildung unserer heimathlichen Welt, dringen aus dem
allgemeinen in das persönliche Leben zurück, forschen
nach der Spur des göttlichen Ebenbildes in unserem
mitgeschaffenen, streben, sie ihm selber kenntlich zu
machen und ihn höher zu fördern in der Reihe der
Wesen, die einen Schöpfer ahnen und bekennen.

Solch eine kleine Welt war mir untergeordnet,
mir zunächst, ja mir allein. Sie hatte ich zu
schützen vor dem Verfall, welchem eine wahnsinnige
Leidenschaft sie preisgab; sie der Zukunft zu erhalten,
gleichviel, ob dieselbe mir oder einem Fremden zu
Gute kam; und je schwieriger der Ringkampf um die
Mittel, desto tiefer wurzelte die Neigung, desto hart¬
näckiger der Widerstand. Diese uneigennützige Liebe
ist mein Verdienst um Reckenburg, weit mehr als die
freie, beglückende Wirksamkeit in einer späteren Zeit.

Auf diesem meinem Arbeitsfelde ertrug ich denn
auch leichter, als ich nach der traurigen Episode des
Herbstes hätte ahnen sollen, den Schicksalswinter von
dreiundneunzig mit seinem ätzenden Hohn. Als die
Kunde des einundzwanzigsten Januar kannibalisch
schreckend bis in unseren stillen Waldwinkel drang, da

verfolgen von der Wiege bis zum Grabe. Wir ſchüt¬
teln die rauhe Hand, die mit uns arbeitet an der Um¬
bildung unſerer heimathlichen Welt, dringen aus dem
allgemeinen in das perſönliche Leben zurück, forſchen
nach der Spur des göttlichen Ebenbildes in unſerem
mitgeſchaffenen, ſtreben, ſie ihm ſelber kenntlich zu
machen und ihn höher zu fördern in der Reihe der
Weſen, die einen Schöpfer ahnen und bekennen.

Solch eine kleine Welt war mir untergeordnet,
mir zunächſt, ja mir allein. Sie hatte ich zu
ſchützen vor dem Verfall, welchem eine wahnſinnige
Leidenſchaft ſie preisgab; ſie der Zukunft zu erhalten,
gleichviel, ob dieſelbe mir oder einem Fremden zu
Gute kam; und je ſchwieriger der Ringkampf um die
Mittel, deſto tiefer wurzelte die Neigung, deſto hart¬
näckiger der Widerſtand. Dieſe uneigennützige Liebe
iſt mein Verdienſt um Reckenburg, weit mehr als die
freie, beglückende Wirkſamkeit in einer ſpäteren Zeit.

Auf dieſem meinem Arbeitsfelde ertrug ich denn
auch leichter, als ich nach der traurigen Epiſode des
Herbſtes hätte ahnen ſollen, den Schickſalswinter von
dreiundneunzig mit ſeinem ätzenden Hohn. Als die
Kunde des einundzwanzigſten Januar kannibaliſch
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[32/0036] verfolgen von der Wiege bis zum Grabe. Wir ſchüt¬ teln die rauhe Hand, die mit uns arbeitet an der Um¬ bildung unſerer heimathlichen Welt, dringen aus dem allgemeinen in das perſönliche Leben zurück, forſchen nach der Spur des göttlichen Ebenbildes in unſerem mitgeſchaffenen, ſtreben, ſie ihm ſelber kenntlich zu machen und ihn höher zu fördern in der Reihe der Weſen, die einen Schöpfer ahnen und bekennen. Solch eine kleine Welt war mir untergeordnet, mir zunächſt, ja mir allein. Sie hatte ich zu ſchützen vor dem Verfall, welchem eine wahnſinnige Leidenſchaft ſie preisgab; ſie der Zukunft zu erhalten, gleichviel, ob dieſelbe mir oder einem Fremden zu Gute kam; und je ſchwieriger der Ringkampf um die Mittel, deſto tiefer wurzelte die Neigung, deſto hart¬ näckiger der Widerſtand. Dieſe uneigennützige Liebe iſt mein Verdienſt um Reckenburg, weit mehr als die freie, beglückende Wirkſamkeit in einer ſpäteren Zeit. Auf dieſem meinem Arbeitsfelde ertrug ich denn auch leichter, als ich nach der traurigen Epiſode des Herbſtes hätte ahnen ſollen, den Schickſalswinter von dreiundneunzig mit ſeinem ätzenden Hohn. Als die Kunde des einundzwanzigſten Januar kannibaliſch ſchreckend bis in unſeren ſtillen Waldwinkel drang, da

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/36>, abgerufen am 19.04.2024.