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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind,
das sich in das sehnende Herz genistet hatte.

An jenem Abende nun sah ich in meinem Kinde, --
zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens -- aber zum
erstenmale die Enkelin des Mannes, zu dessen Erbe
die alte Reckenburgerin den Stammsitz ihrer Väter
neu geschaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬
lebt, der geliebten Mutter seines Sohnes in diesem
Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war
zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬
mäßige Besitzerin verwaltet habe.

Unter diesen alten Erinnerungen und neuen Vor¬
stellungen schlief ich endlich ein und -- träumte.

Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch
schlummernd, viel von Traumgesichten behelligt oder
beseligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬
sichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬
ger, als eine Visionairin halte. Ich war an jenem
Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngesund
eingeschlafen, und kerngesund, wie noch in gegenwär¬
tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf;
aber mit dem deutlichen Bewußtsein eines Traums.

Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn
malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch

nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind,
das ſich in das ſehnende Herz geniſtet hatte.

An jenem Abende nun ſah ich in meinem Kinde, —
zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens — aber zum
erſtenmale die Enkelin des Mannes, zu deſſen Erbe
die alte Reckenburgerin den Stammſitz ihrer Väter
neu geſchaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬
lebt, der geliebten Mutter ſeines Sohnes in dieſem
Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war
zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬
mäßige Beſitzerin verwaltet habe.

Unter dieſen alten Erinnerungen und neuen Vor¬
ſtellungen ſchlief ich endlich ein und — träumte.

Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch
ſchlummernd, viel von Traumgeſichten behelligt oder
beſeligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬
ſichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬
ger, als eine Viſionairin halte. Ich war an jenem
Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngeſund
eingeſchlafen, und kerngeſund, wie noch in gegenwär¬
tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf;
aber mit dem deutlichen Bewußtſein eines Traums.

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[263/0267] nicht die Enkelin Dorotheens, es war einfach das Kind, das ſich in das ſehnende Herz geniſtet hatte. An jenem Abende nun ſah ich in meinem Kinde, — zwar auch nicht die Enkelin Dorotheens — aber zum erſtenmale die Enkelin des Mannes, zu deſſen Erbe die alte Reckenburgerin den Stammſitz ihrer Väter neu geſchaffen hatte, des Mannes, der, hätte er ge¬ lebt, der geliebten Mutter ſeines Sohnes in dieſem Erbe eine Heimath bereitet haben würde. Mir war zu Sinn, als ob ich nur ein Treugut für die recht¬ mäßige Beſitzerin verwaltet habe. Unter dieſen alten Erinnerungen und neuen Vor¬ ſtellungen ſchlief ich endlich ein und — träumte. Ich bin in meinem Leben, weder wachend noch ſchlummernd, viel von Traumgeſichten behelligt oder beſeligt worden, und ich brauche auch nicht zu ver¬ ſichern, meine Kinder, daß ich mich für nichts weni¬ ger, als eine Viſionairin halte. Ich war an jenem Abend bewegt wohl, doch ohne Aufregung, kerngeſund eingeſchlafen, und kerngeſund, wie noch in gegenwär¬ tiger Stunde, wachte ich am anderen Morgen auf; aber mit dem deutlichen Bewußtſein eines Traums. Welches Traums? Mich däucht, ich hätte ihn malen können, könnte ihn heute noch malen, und doch

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/267>, abgerufen am 29.03.2024.