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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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ich, zögerte von Tage zu Tage mit einem abschließen¬
den Plan, und Gott weiß, wie lange ich noch gezö¬
gert haben würde, wenn nicht ein Strahl von Außen,
-- oder nenne ich's von Oben? -- das behagliche
Selbstvergessen durchbrochen hätte.

Erinnerst Du Dich noch, Ludwig, des Nachmittags,
es ist heute sechs Wochen, als Du zu mir tratest mit den
Worten: "Da bringt die Zeitung den Nekrolog des be¬
rühmten Doktor Faber. Ich wußte nicht, daß er Ihr
Landsmann gewesen ist, auch Ihr Zeitgenosse könnte
er noch gewesen sein. Haben Sie ihn gekannt, Fräu¬
lein von Reckenburg?"

Du wurdest im nämlichen Augenblick zu einem
Geschäfte abgerufen, und das ersparte mir eine Ant¬
wort, für welche mir der Athem gestockt haben würde.
Der erste und noch der einzige Jugendgenosse war vor
mir dahingegangen!

Ich nahm das Blatt zur Hand und überlas den
Artikel. Er war gestorben nach rascher Krankheit den
dritten August. Der dritte August! Ihr wißt, was
dieser Tag mir bedeutete. Darf man an solche Schick¬
salsdaten glauben? soll man sie als ein verwirrendes
Spiel des Zufalls von sich weisen? Entscheidet's nach
Eurem Gemüth, aber -- die Glocke schlägt Eins, --

ich, zögerte von Tage zu Tage mit einem abſchließen¬
den Plan, und Gott weiß, wie lange ich noch gezö¬
gert haben würde, wenn nicht ein Strahl von Außen,
— oder nenne ich's von Oben? — das behagliche
Selbſtvergeſſen durchbrochen hätte.

Erinnerſt Du Dich noch, Ludwig, des Nachmittags,
es iſt heute ſechs Wochen, als Du zu mir trateſt mit den
Worten: „Da bringt die Zeitung den Nekrolog des be¬
rühmten Doktor Faber. Ich wußte nicht, daß er Ihr
Landsmann geweſen iſt, auch Ihr Zeitgenoſſe könnte
er noch geweſen ſein. Haben Sie ihn gekannt, Fräu¬
lein von Reckenburg?“

Du wurdeſt im nämlichen Augenblick zu einem
Geſchäfte abgerufen, und das erſparte mir eine Ant¬
wort, für welche mir der Athem geſtockt haben würde.
Der erſte und noch der einzige Jugendgenoſſe war vor
mir dahingegangen!

Ich nahm das Blatt zur Hand und überlas den
Artikel. Er war geſtorben nach raſcher Krankheit den
dritten Auguſt. Der dritte Auguſt! Ihr wißt, was
dieſer Tag mir bedeutete. Darf man an ſolche Schick¬
ſalsdaten glauben? ſoll man ſie als ein verwirrendes
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[261/0265] ich, zögerte von Tage zu Tage mit einem abſchließen¬ den Plan, und Gott weiß, wie lange ich noch gezö¬ gert haben würde, wenn nicht ein Strahl von Außen, — oder nenne ich's von Oben? — das behagliche Selbſtvergeſſen durchbrochen hätte. Erinnerſt Du Dich noch, Ludwig, des Nachmittags, es iſt heute ſechs Wochen, als Du zu mir trateſt mit den Worten: „Da bringt die Zeitung den Nekrolog des be¬ rühmten Doktor Faber. Ich wußte nicht, daß er Ihr Landsmann geweſen iſt, auch Ihr Zeitgenoſſe könnte er noch geweſen ſein. Haben Sie ihn gekannt, Fräu¬ lein von Reckenburg?“ Du wurdeſt im nämlichen Augenblick zu einem Geſchäfte abgerufen, und das erſparte mir eine Ant¬ wort, für welche mir der Athem geſtockt haben würde. Der erſte und noch der einzige Jugendgenoſſe war vor mir dahingegangen! Ich nahm das Blatt zur Hand und überlas den Artikel. Er war geſtorben nach raſcher Krankheit den dritten Auguſt. Der dritte Auguſt! Ihr wißt, was dieſer Tag mir bedeutete. Darf man an ſolche Schick¬ ſalsdaten glauben? ſoll man ſie als ein verwirrendes Spiel des Zufalls von ſich weiſen? Entſcheidet's nach Eurem Gemüth, aber — die Glocke ſchlägt Eins, —

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/265>, abgerufen am 28.03.2024.