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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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in seinem erweiterten staatsmännischen Wirkungskreise;
ich kannte ihn als den Einzigen in meiner Umgebung,
der, so rücksichtslos er sich gegen einen bösen Schein
geberdet, nicht einen Augenblick an mir gezweifelt
hatte. Ich sah das Wohlgefallen des stattlichen, jun¬
gen Cavaliers an meiner Hardine, und wenn ihr Herz
sich dem seinigen zuneigte, warum sollten die Vortheile,
welche die Eltern erstrebt hatten, am Ende nicht durch
die Kinder zu erreichen sein? Meine arglose Hardine,
Du hast meine Wünsche und Bestrebungen in dieser
Richtung nicht bemerkt, und heute danke ich Gott, daß
Du sie nicht bemerktest.

Denn als es mir klar wurde, wie des Grafen
Standessinn vielleicht schwach genug war, um sich
vor dem verbrieften Reckenburgischen Erbe in meines
Kindes Hand zu beugen; aber zu stark, um sonder Er¬
röthen dieses Kind in ein Vaterhaus zu führen, als
ich den jungen Herrn nur in seinen Schwächen als
den Sohn, seines Vaters kennen lernte; endlich aber,
als ich sah, wie Hardinens Lippen bei der unerwar¬
teten Fahnenflucht lächelten, und wie sie gleich darauf
den Blick vor eines Anderen Blicke senkte, da fiel die
letzte Binde vor meinen Augen und mindestens die eine
Hälfte meines Abschlußaktes war im Stillen festgesetzt.

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in ſeinem erweiterten ſtaatsmänniſchen Wirkungskreiſe;
ich kannte ihn als den Einzigen in meiner Umgebung,
der, ſo rückſichtslos er ſich gegen einen böſen Schein
geberdet, nicht einen Augenblick an mir gezweifelt
hatte. Ich ſah das Wohlgefallen des ſtattlichen, jun¬
gen Cavaliers an meiner Hardine, und wenn ihr Herz
ſich dem ſeinigen zuneigte, warum ſollten die Vortheile,
welche die Eltern erſtrebt hatten, am Ende nicht durch
die Kinder zu erreichen ſein? Meine argloſe Hardine,
Du haſt meine Wünſche und Beſtrebungen in dieſer
Richtung nicht bemerkt, und heute danke ich Gott, daß
Du ſie nicht bemerkteſt.

Denn als es mir klar wurde, wie des Grafen
Standesſinn vielleicht ſchwach genug war, um ſich
vor dem verbrieften Reckenburgiſchen Erbe in meines
Kindes Hand zu beugen; aber zu ſtark, um ſonder Er¬
röthen dieſes Kind in ein Vaterhaus zu führen, als
ich den jungen Herrn nur in ſeinen Schwächen als
den Sohn, ſeines Vaters kennen lernte; endlich aber,
als ich ſah, wie Hardinens Lippen bei der unerwar¬
teten Fahnenflucht lächelten, und wie ſie gleich darauf
den Blick vor eines Anderen Blicke ſenkte, da fiel die
letzte Binde vor meinen Augen und mindeſtens die eine
Hälfte meines Abſchlußaktes war im Stillen feſtgeſetzt.

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[259/0263] in ſeinem erweiterten ſtaatsmänniſchen Wirkungskreiſe; ich kannte ihn als den Einzigen in meiner Umgebung, der, ſo rückſichtslos er ſich gegen einen böſen Schein geberdet, nicht einen Augenblick an mir gezweifelt hatte. Ich ſah das Wohlgefallen des ſtattlichen, jun¬ gen Cavaliers an meiner Hardine, und wenn ihr Herz ſich dem ſeinigen zuneigte, warum ſollten die Vortheile, welche die Eltern erſtrebt hatten, am Ende nicht durch die Kinder zu erreichen ſein? Meine argloſe Hardine, Du haſt meine Wünſche und Beſtrebungen in dieſer Richtung nicht bemerkt, und heute danke ich Gott, daß Du ſie nicht bemerkteſt. Denn als es mir klar wurde, wie des Grafen Standesſinn vielleicht ſchwach genug war, um ſich vor dem verbrieften Reckenburgiſchen Erbe in meines Kindes Hand zu beugen; aber zu ſtark, um ſonder Er¬ röthen dieſes Kind in ein Vaterhaus zu führen, als ich den jungen Herrn nur in ſeinen Schwächen als den Sohn, ſeines Vaters kennen lernte; endlich aber, als ich ſah, wie Hardinens Lippen bei der unerwar¬ teten Fahnenflucht lächelten, und wie ſie gleich darauf den Blick vor eines Anderen Blicke ſenkte, da fiel die letzte Binde vor meinen Augen und mindeſtens die eine Hälfte meines Abſchlußaktes war im Stillen feſtgeſetzt. 17*

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/263>, abgerufen am 29.03.2024.