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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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zur Christbescheerung einzuladen, die sein Sohn, als
Feriengast, heimlich aufgebaut hatte. Im Schlosse
wurde nicht bescheert; das Dienstpersonal erhielt sein
ausbedungenes Geldgeschenk und ein stehendes Festge¬
richt. Im Uebrigen glich der Freudenabend der
Christenheit allen anderen Abenden des Jahres.

Der junge Herr Ludwig hatte den Vater beglei¬
tet und blieb bei dem Kinde, während ich mit jenem
in Gemeindeangelegenheiten noch einen Gang durch's
Dorf machte. Als wir zurückkehrten, saß der junge
Herr im Fenster, durch welches die Sonnenstrahlen
schräg in das Zimmer fielen, und das Kind saß auf
seinen Knieen, die Händchen in den seinen, den Kopf
an seine Brust gelehnt, und die Augen leuchtend zu
ihm aufgeschlagen; er hatte eben eine hübsche Legende
vom Christkindchen zu Ende gebracht. Mir war es
niemals eingefallen, der Kleinen ein Märlein oder
Stücklein zu erzählen; wüßte auch wahrlich nicht, wie
mir eines hätte einfallen können.

Ich ließ das vorräthige Spiel- und Naschwerk
nach der Pfarre tragen, und begleitete, obgleich nicht
mit eingeladen, das Kind hinunter. So lange ich
meine Winter regelmäßig auf Reckenburg verlebt, also
seit sechsunddreißig Jahren, hatte ich keine Christbe¬

zur Chriſtbeſcheerung einzuladen, die ſein Sohn, als
Feriengaſt, heimlich aufgebaut hatte. Im Schloſſe
wurde nicht beſcheert; das Dienſtperſonal erhielt ſein
ausbedungenes Geldgeſchenk und ein ſtehendes Feſtge¬
richt. Im Uebrigen glich der Freudenabend der
Chriſtenheit allen anderen Abenden des Jahres.

Der junge Herr Ludwig hatte den Vater beglei¬
tet und blieb bei dem Kinde, während ich mit jenem
in Gemeindeangelegenheiten noch einen Gang durch’s
Dorf machte. Als wir zurückkehrten, ſaß der junge
Herr im Fenſter, durch welches die Sonnenſtrahlen
ſchräg in das Zimmer fielen, und das Kind ſaß auf
ſeinen Knieen, die Händchen in den ſeinen, den Kopf
an ſeine Bruſt gelehnt, und die Augen leuchtend zu
ihm aufgeſchlagen; er hatte eben eine hübſche Legende
vom Chriſtkindchen zu Ende gebracht. Mir war es
niemals eingefallen, der Kleinen ein Märlein oder
Stücklein zu erzählen; wüßte auch wahrlich nicht, wie
mir eines hätte einfallen können.

Ich ließ das vorräthige Spiel- und Naſchwerk
nach der Pfarre tragen, und begleitete, obgleich nicht
mit eingeladen, das Kind hinunter. So lange ich
meine Winter regelmäßig auf Reckenburg verlebt, alſo
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[250/0254] zur Chriſtbeſcheerung einzuladen, die ſein Sohn, als Feriengaſt, heimlich aufgebaut hatte. Im Schloſſe wurde nicht beſcheert; das Dienſtperſonal erhielt ſein ausbedungenes Geldgeſchenk und ein ſtehendes Feſtge¬ richt. Im Uebrigen glich der Freudenabend der Chriſtenheit allen anderen Abenden des Jahres. Der junge Herr Ludwig hatte den Vater beglei¬ tet und blieb bei dem Kinde, während ich mit jenem in Gemeindeangelegenheiten noch einen Gang durch’s Dorf machte. Als wir zurückkehrten, ſaß der junge Herr im Fenſter, durch welches die Sonnenſtrahlen ſchräg in das Zimmer fielen, und das Kind ſaß auf ſeinen Knieen, die Händchen in den ſeinen, den Kopf an ſeine Bruſt gelehnt, und die Augen leuchtend zu ihm aufgeſchlagen; er hatte eben eine hübſche Legende vom Chriſtkindchen zu Ende gebracht. Mir war es niemals eingefallen, der Kleinen ein Märlein oder Stücklein zu erzählen; wüßte auch wahrlich nicht, wie mir eines hätte einfallen können. Ich ließ das vorräthige Spiel- und Naſchwerk nach der Pfarre tragen, und begleitete, obgleich nicht mit eingeladen, das Kind hinunter. So lange ich meine Winter regelmäßig auf Reckenburg verlebt, alſo ſeit ſechsunddreißig Jahren, hatte ich keine Chriſtbe¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/254>, abgerufen am 29.03.2024.