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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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worden: zuerst um des Kampfes willen, welchen sie
bestand, und dann um des Sieges willen, welcher sie
zu unserer Mutter machte."

Ludwig Nordheim erhob sich nach diesen Worten,
ergriff die Hand seiner Gattin und fuhr nach einer
Pause mit warmer Bewegung fort: "Und darum,
meine Hardine, ehe wir das letzte Wort aus ihrem
Munde vernehmen, lege Deine Rechte in die meine
zu einem unverbrüchlichen Entschluß. Was diese Frau
uns enthüllen oder vorenthalten wird: wir wollen es
verehren als die Offenbarung einer Mutter; was sie
uns heißen oder verbieten wird, wir wollen ihm ge¬
horchen, als dem Gesetz einer Mutter. Sollen wir
arm und auf uns selbst gestellt in die Fremde ziehen,
wir zweifeln nicht: es war die Weisheit einer Mutter,
welche den Stachel der Noth zu unserer Reife erkannte.
Zeigt sie uns einen Pfad: wir wandeln ihn; eröffnet
sie uns ein Amt: wir warten sein, stark durch den
Rückblick auf sie. Endlich aber, meine Hardine: wenn
unter ihrer Hand ein Bild sich entschleiern sollte, wel¬
ches die Enkel verehren möchten und vor welchem sie
erröthend die Augen niederschlagen, so zählen wir un¬
ser Geschlecht von dem Tage an, wo diese Frau dem
losgelösten Kinde eine Freistatt in ihrem Herzen er¬

worden: zuerſt um des Kampfes willen, welchen ſie
beſtand, und dann um des Sieges willen, welcher ſie
zu unſerer Mutter machte.“

Ludwig Nordheim erhob ſich nach dieſen Worten,
ergriff die Hand ſeiner Gattin und fuhr nach einer
Pauſe mit warmer Bewegung fort: „Und darum,
meine Hardine, ehe wir das letzte Wort aus ihrem
Munde vernehmen, lege Deine Rechte in die meine
zu einem unverbrüchlichen Entſchluß. Was dieſe Frau
uns enthüllen oder vorenthalten wird: wir wollen es
verehren als die Offenbarung einer Mutter; was ſie
uns heißen oder verbieten wird, wir wollen ihm ge¬
horchen, als dem Geſetz einer Mutter. Sollen wir
arm und auf uns ſelbſt geſtellt in die Fremde ziehen,
wir zweifeln nicht: es war die Weisheit einer Mutter,
welche den Stachel der Noth zu unſerer Reife erkannte.
Zeigt ſie uns einen Pfad: wir wandeln ihn; eröffnet
ſie uns ein Amt: wir warten ſein, ſtark durch den
Rückblick auf ſie. Endlich aber, meine Hardine: wenn
unter ihrer Hand ein Bild ſich entſchleiern ſollte, wel¬
ches die Enkel verehren möchten und vor welchem ſie
erröthend die Augen niederſchlagen, ſo zählen wir un¬
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[238/0242] worden: zuerſt um des Kampfes willen, welchen ſie beſtand, und dann um des Sieges willen, welcher ſie zu unſerer Mutter machte.“ Ludwig Nordheim erhob ſich nach dieſen Worten, ergriff die Hand ſeiner Gattin und fuhr nach einer Pauſe mit warmer Bewegung fort: „Und darum, meine Hardine, ehe wir das letzte Wort aus ihrem Munde vernehmen, lege Deine Rechte in die meine zu einem unverbrüchlichen Entſchluß. Was dieſe Frau uns enthüllen oder vorenthalten wird: wir wollen es verehren als die Offenbarung einer Mutter; was ſie uns heißen oder verbieten wird, wir wollen ihm ge¬ horchen, als dem Geſetz einer Mutter. Sollen wir arm und auf uns ſelbſt geſtellt in die Fremde ziehen, wir zweifeln nicht: es war die Weisheit einer Mutter, welche den Stachel der Noth zu unſerer Reife erkannte. Zeigt ſie uns einen Pfad: wir wandeln ihn; eröffnet ſie uns ein Amt: wir warten ſein, ſtark durch den Rückblick auf ſie. Endlich aber, meine Hardine: wenn unter ihrer Hand ein Bild ſich entſchleiern ſollte, wel¬ ches die Enkel verehren möchten und vor welchem ſie erröthend die Augen niederſchlagen, ſo zählen wir un¬ ſer Geſchlecht von dem Tage an, wo dieſe Frau dem losgelöſten Kinde eine Freiſtatt in ihrem Herzen er¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/242>, abgerufen am 19.04.2024.