Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

"Fasse Dich, mein Kind," sagte er. "Uns bleibt
noch eine Stunde. Laß uns die Enthüllungen, welche
wir vermuthen, durch unsere Erinnerungen vorberei¬
ten. Niemals würde ich mir solch eine Aussprache
selber mit meinem geliebten Weibe gestattet haben, so
lange ihre Augen über uns wachten. Ich fühlte ihre
heimliche Mißbilligung. Heute aber, wo ihr eigener
Wille das Geheimniß brechen wird, heute frage ich
Dich: "Hat sie je gegen Dich der Vergangenheit er¬
wähnt?"

"Niemals, niemals, Ludwig," betheuerte die junge
Frau.

"Und auch gegen mich nur mit einem einzigen,
ernsten, aber nicht enthüllenden Wort," sagte Nord¬
heim, von der Erinnerung bewegt.

"An jenem glückseligen Morgen, wo sie meine
langgehegten Wünsche zum Ausdruck und zur Erfül¬
lung brachte, da fragte sie mich: "Kennst Du die Ab¬
stammung des Kindes, Ludwig, dessen Schutz Du von
heute ab übernimmst?" Und als ich die Frage be¬
jahte, fuhr sie fort: "Sie ist in Ehren geboren; ihr
Vater war ein tapferer Soldat, dessen Wunden die
späteren Verirrungen decken. Sei auch Du ein tapfe¬
rer Soldat und scheue nicht die Wunden in dem immer¬

„Faſſe Dich, mein Kind,“ ſagte er. „Uns bleibt
noch eine Stunde. Laß uns die Enthüllungen, welche
wir vermuthen, durch unſere Erinnerungen vorberei¬
ten. Niemals würde ich mir ſolch eine Ausſprache
ſelber mit meinem geliebten Weibe geſtattet haben, ſo
lange ihre Augen über uns wachten. Ich fühlte ihre
heimliche Mißbilligung. Heute aber, wo ihr eigener
Wille das Geheimniß brechen wird, heute frage ich
Dich: „Hat ſie je gegen Dich der Vergangenheit er¬
wähnt?“

„Niemals, niemals, Ludwig,“ betheuerte die junge
Frau.

„Und auch gegen mich nur mit einem einzigen,
ernſten, aber nicht enthüllenden Wort,“ ſagte Nord¬
heim, von der Erinnerung bewegt.

„An jenem glückſeligen Morgen, wo ſie meine
langgehegten Wünſche zum Ausdruck und zur Erfül¬
lung brachte, da fragte ſie mich: „Kennſt Du die Ab¬
ſtammung des Kindes, Ludwig, deſſen Schutz Du von
heute ab übernimmſt?“ Und als ich die Frage be¬
jahte, fuhr ſie fort: „Sie iſt in Ehren geboren; ihr
Vater war ein tapferer Soldat, deſſen Wunden die
ſpäteren Verirrungen decken. Sei auch Du ein tapfe¬
rer Soldat und ſcheue nicht die Wunden in dem immer¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0239" n="235"/>
        <p>&#x201E;Fa&#x017F;&#x017F;e Dich, mein Kind,&#x201C; &#x017F;agte er. &#x201E;Uns bleibt<lb/>
noch eine Stunde. Laß uns die Enthüllungen, welche<lb/>
wir vermuthen, durch un&#x017F;ere Erinnerungen vorberei¬<lb/>
ten. Niemals würde ich mir &#x017F;olch eine Aus&#x017F;prache<lb/>
&#x017F;elber mit meinem geliebten Weibe ge&#x017F;tattet haben, &#x017F;o<lb/>
lange ihre Augen über uns wachten. Ich fühlte ihre<lb/>
heimliche Mißbilligung. Heute aber, wo ihr eigener<lb/>
Wille das Geheimniß brechen wird, heute frage ich<lb/>
Dich: &#x201E;Hat &#x017F;ie je gegen Dich der Vergangenheit er¬<lb/>
wähnt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Niemals, niemals, Ludwig,&#x201C; betheuerte die junge<lb/>
Frau.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und auch gegen mich nur mit einem einzigen,<lb/>
ern&#x017F;ten, aber nicht enthüllenden Wort,&#x201C; &#x017F;agte Nord¬<lb/>
heim, von der Erinnerung bewegt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;An jenem glück&#x017F;eligen Morgen, wo &#x017F;ie meine<lb/>
langgehegten Wün&#x017F;che zum Ausdruck und zur Erfül¬<lb/>
lung brachte, da fragte &#x017F;ie mich: &#x201E;Kenn&#x017F;t Du die Ab¬<lb/>
&#x017F;tammung des Kindes, Ludwig, de&#x017F;&#x017F;en Schutz Du von<lb/>
heute ab übernimm&#x017F;t?&#x201C; Und als ich die Frage be¬<lb/>
jahte, fuhr &#x017F;ie fort: &#x201E;Sie i&#x017F;t in Ehren geboren; ihr<lb/>
Vater war ein tapferer Soldat, de&#x017F;&#x017F;en Wunden die<lb/>
&#x017F;päteren Verirrungen decken. Sei auch Du ein tapfe¬<lb/>
rer Soldat und &#x017F;cheue nicht die Wunden in dem immer¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0239] „Faſſe Dich, mein Kind,“ ſagte er. „Uns bleibt noch eine Stunde. Laß uns die Enthüllungen, welche wir vermuthen, durch unſere Erinnerungen vorberei¬ ten. Niemals würde ich mir ſolch eine Ausſprache ſelber mit meinem geliebten Weibe geſtattet haben, ſo lange ihre Augen über uns wachten. Ich fühlte ihre heimliche Mißbilligung. Heute aber, wo ihr eigener Wille das Geheimniß brechen wird, heute frage ich Dich: „Hat ſie je gegen Dich der Vergangenheit er¬ wähnt?“ „Niemals, niemals, Ludwig,“ betheuerte die junge Frau. „Und auch gegen mich nur mit einem einzigen, ernſten, aber nicht enthüllenden Wort,“ ſagte Nord¬ heim, von der Erinnerung bewegt. „An jenem glückſeligen Morgen, wo ſie meine langgehegten Wünſche zum Ausdruck und zur Erfül¬ lung brachte, da fragte ſie mich: „Kennſt Du die Ab¬ ſtammung des Kindes, Ludwig, deſſen Schutz Du von heute ab übernimmſt?“ Und als ich die Frage be¬ jahte, fuhr ſie fort: „Sie iſt in Ehren geboren; ihr Vater war ein tapferer Soldat, deſſen Wunden die ſpäteren Verirrungen decken. Sei auch Du ein tapfe¬ rer Soldat und ſcheue nicht die Wunden in dem immer¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/239
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/239>, abgerufen am 19.04.2024.