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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze
ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große
Fontaine inmitten der Terrasse spendete kühlend die
Wassermenge, welche die Ungethüme des Lustgartens
in zahllosen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die
Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des
Bassins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter
streuten. Alles in Allem: unsere Reckenburg, ohne
ihren herrschaftlichen Ursprung zu verleugnen, hatte
sich in ein Heimwesen mit zeitgemäßem, bürgerlichem
Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬
dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle
gewiesen werden sollen, wenn die kleine Hardine für
ihn "bitte, bitte" sprach. Gut geartete Kinder geben
ja so gern und die kleine Hardine war ein gut
geartetes Kind. Als in den ersten dreißiger Jahren
die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte,
und mit einem ihrer Katzensprünge nur unser Recken¬
burg, verschonte, da errichtete das Fräulein ein statt¬
liches Waisenhaus und an dem Einsegnungstage ihrer
Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬
lose Mädchen darin eingeführt.

So ist die kleine Hardine nun ein erwachsenes
Dämchen geworden; und ein wechselnder Verkehr mit

vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze
ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große
Fontaine inmitten der Terraſſe ſpendete kühlend die
Waſſermenge, welche die Ungethüme des Luſtgartens
in zahlloſen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die
Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des
Baſſins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter
ſtreuten. Alles in Allem: unſere Reckenburg, ohne
ihren herrſchaftlichen Urſprung zu verleugnen, hatte
ſich in ein Heimweſen mit zeitgemäßem, bürgerlichem
Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬
dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle
gewieſen werden ſollen, wenn die kleine Hardine für
ihn „bitte, bitte“ ſprach. Gut geartete Kinder geben
ja ſo gern und die kleine Hardine war ein gut
geartetes Kind. Als in den erſten dreißiger Jahren
die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte,
und mit einem ihrer Katzenſprünge nur unſer Recken¬
burg, verſchonte, da errichtete das Fräulein ein ſtatt¬
liches Waiſenhaus und an dem Einſegnungstage ihrer
Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬
loſe Mädchen darin eingeführt.

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[222/0226] vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große Fontaine inmitten der Terraſſe ſpendete kühlend die Waſſermenge, welche die Ungethüme des Luſtgartens in zahlloſen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des Baſſins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter ſtreuten. Alles in Allem: unſere Reckenburg, ohne ihren herrſchaftlichen Urſprung zu verleugnen, hatte ſich in ein Heimweſen mit zeitgemäßem, bürgerlichem Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬ dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle gewieſen werden ſollen, wenn die kleine Hardine für ihn „bitte, bitte“ ſprach. Gut geartete Kinder geben ja ſo gern und die kleine Hardine war ein gut geartetes Kind. Als in den erſten dreißiger Jahren die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte, und mit einem ihrer Katzenſprünge nur unſer Recken¬ burg, verſchonte, da errichtete das Fräulein ein ſtatt¬ liches Waiſenhaus und an dem Einſegnungstage ihrer Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬ loſe Mädchen darin eingeführt. So iſt die kleine Hardine nun ein erwachſenes Dämchen geworden; und ein wechſelnder Verkehr mit

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/226>, abgerufen am 16.04.2024.