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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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zu steuern wagte, einer eignen Tochter oder Enkelin
eine vielseitigere Bildung bewilligt haben würde? Daß
das Maaß des eignen Wissens und Könnens ihr nicht
das Genügende schien, um einen großen Besitz und
ein bedeutendes Amt zu verwalten?

Zu diesen wohlgerechtfertigten Zweifeln gesellte
sich die Wahrnehmung eines allmäligen Umwandelns
des Reckenburgschen Lebenszuschnittes nach der häus¬
lichen Seite hin. -- Der Verlauf war natürlich und
folgerecht für Eine, die nichts halb that, wie unser
Fräulein Hardine. Denn ein Mensch zieht den an¬
deren nach und keiner mehrere als ein Kind. Die
kleine Waise bedurfte der Wartung, des Unterrichts
und Umgangs; sie bedurfte des Raums zur Pflege,
zum Spiel, zur Aufnahme nachbarlicher Genossinnen
und deren erwachsener Sippschaft, die nicht spröde auf
sich warten ließ. Ein freundliches Gelaß mußte mit
den Tändeleien einer Kinder- später einer Mädchenstube
ausgefüllt, Gastzimmer und wohnliche Versammlungs¬
räume mußten eingerichtet werden. Der neue Thurm
war zu eng und einfach für mehr als Eine; die an¬
stoßenden Säle waren zu weit und prunkvoll für
Wenigere als eine Galaversammlung. Da gab es denn
Abtheilungen und Zwischenwände; wärmende Oefen

zu ſteuern wagte, einer eignen Tochter oder Enkelin
eine vielſeitigere Bildung bewilligt haben würde? Daß
das Maaß des eignen Wiſſens und Könnens ihr nicht
das Genügende ſchien, um einen großen Beſitz und
ein bedeutendes Amt zu verwalten?

Zu dieſen wohlgerechtfertigten Zweifeln geſellte
ſich die Wahrnehmung eines allmäligen Umwandelns
des Reckenburgſchen Lebenszuſchnittes nach der häus¬
lichen Seite hin. — Der Verlauf war natürlich und
folgerecht für Eine, die nichts halb that, wie unſer
Fräulein Hardine. Denn ein Menſch zieht den an¬
deren nach und keiner mehrere als ein Kind. Die
kleine Waiſe bedurfte der Wartung, des Unterrichts
und Umgangs; ſie bedurfte des Raums zur Pflege,
zum Spiel, zur Aufnahme nachbarlicher Genoſſinnen
und deren erwachſener Sippſchaft, die nicht ſpröde auf
ſich warten ließ. Ein freundliches Gelaß mußte mit
den Tändeleien einer Kinder- ſpäter einer Mädchenſtube
ausgefüllt, Gaſtzimmer und wohnliche Verſammlungs¬
räume mußten eingerichtet werden. Der neue Thurm
war zu eng und einfach für mehr als Eine; die an¬
ſtoßenden Säle waren zu weit und prunkvoll für
Wenigere als eine Galaverſammlung. Da gab es denn
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[220/0224] zu ſteuern wagte, einer eignen Tochter oder Enkelin eine vielſeitigere Bildung bewilligt haben würde? Daß das Maaß des eignen Wiſſens und Könnens ihr nicht das Genügende ſchien, um einen großen Beſitz und ein bedeutendes Amt zu verwalten? Zu dieſen wohlgerechtfertigten Zweifeln geſellte ſich die Wahrnehmung eines allmäligen Umwandelns des Reckenburgſchen Lebenszuſchnittes nach der häus¬ lichen Seite hin. — Der Verlauf war natürlich und folgerecht für Eine, die nichts halb that, wie unſer Fräulein Hardine. Denn ein Menſch zieht den an¬ deren nach und keiner mehrere als ein Kind. Die kleine Waiſe bedurfte der Wartung, des Unterrichts und Umgangs; ſie bedurfte des Raums zur Pflege, zum Spiel, zur Aufnahme nachbarlicher Genoſſinnen und deren erwachſener Sippſchaft, die nicht ſpröde auf ſich warten ließ. Ein freundliches Gelaß mußte mit den Tändeleien einer Kinder- ſpäter einer Mädchenſtube ausgefüllt, Gaſtzimmer und wohnliche Verſammlungs¬ räume mußten eingerichtet werden. Der neue Thurm war zu eng und einfach für mehr als Eine; die an¬ ſtoßenden Säle waren zu weit und prunkvoll für Wenigere als eine Galaverſammlung. Da gab es denn Abtheilungen und Zwiſchenwände; wärmende Oefen

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/224>, abgerufen am 20.04.2024.