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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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bereitet worden war. Es war dies eine letzte Ehre,
welche die Herrin jedem ihrer Gemeindeglieder erwies,
und wir, die wir ihre Bekenntnisse gelesen haben,
wissen, welchen Erinnerungen sie durch dieselbe ge¬
recht ward, die Zeitgenossen aber, welche die Wahrheit
erst aus diesen Blättern erfahren werden, die schrieen
im Chor: "Einem Fremden, einem bettelnden Tage¬
dieb! dem, der die schwerste Bezüchtigung gegen sie
verbreitet hat?"

So war es denn Fräulein Hardine selbst, die,
schweigend und handelnd, dieser Bezüchtigung Vorschub
leistete, in einer Weise, daß ihr goldheller Name
dauernd dadurch geschwärzt werden sollte. Wir wol¬
len uns nicht dabei aufhalten, wie dem starren Er¬
staunen die kleinlichsten Spürversuche folgten, wie der
verbissene Neid triumphirte, Entrüstung, ja Empörung
gegen die langjährige Heuchelei laut und öffentlich zur
Schau getragen ward. Das Haus, zu welchem der
Eintritt als hohe Gunstbezeugung erstrebt worden war,
sah sich scheu vermieden, gleich einem, in welchem ein
ansteckendes Fieber ausgebrochen ist; der stolze Bau
des Rechtes und der Ehre schien in seinem Funda¬
ment erschüttert; keine Hand regte sich, ihn zu stützen,
seitdem selber der Graf die Beziehungen zur Recken¬

bereitet worden war. Es war dies eine letzte Ehre,
welche die Herrin jedem ihrer Gemeindeglieder erwies,
und wir, die wir ihre Bekenntniſſe geleſen haben,
wiſſen, welchen Erinnerungen ſie durch dieſelbe ge¬
recht ward, die Zeitgenoſſen aber, welche die Wahrheit
erſt aus dieſen Blättern erfahren werden, die ſchrieen
im Chor: „Einem Fremden, einem bettelnden Tage¬
dieb! dem, der die ſchwerſte Bezüchtigung gegen ſie
verbreitet hat?“

So war es denn Fräulein Hardine ſelbſt, die,
ſchweigend und handelnd, dieſer Bezüchtigung Vorſchub
leiſtete, in einer Weiſe, daß ihr goldheller Name
dauernd dadurch geſchwärzt werden ſollte. Wir wol¬
len uns nicht dabei aufhalten, wie dem ſtarren Er¬
ſtaunen die kleinlichſten Spürverſuche folgten, wie der
verbiſſene Neid triumphirte, Entrüſtung, ja Empörung
gegen die langjährige Heuchelei laut und öffentlich zur
Schau getragen ward. Das Haus, zu welchem der
Eintritt als hohe Gunſtbezeugung erſtrebt worden war,
ſah ſich ſcheu vermieden, gleich einem, in welchem ein
anſteckendes Fieber ausgebrochen iſt; der ſtolze Bau
des Rechtes und der Ehre ſchien in ſeinem Funda¬
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[214/0218] bereitet worden war. Es war dies eine letzte Ehre, welche die Herrin jedem ihrer Gemeindeglieder erwies, und wir, die wir ihre Bekenntniſſe geleſen haben, wiſſen, welchen Erinnerungen ſie durch dieſelbe ge¬ recht ward, die Zeitgenoſſen aber, welche die Wahrheit erſt aus dieſen Blättern erfahren werden, die ſchrieen im Chor: „Einem Fremden, einem bettelnden Tage¬ dieb! dem, der die ſchwerſte Bezüchtigung gegen ſie verbreitet hat?“ So war es denn Fräulein Hardine ſelbſt, die, ſchweigend und handelnd, dieſer Bezüchtigung Vorſchub leiſtete, in einer Weiſe, daß ihr goldheller Name dauernd dadurch geſchwärzt werden ſollte. Wir wol¬ len uns nicht dabei aufhalten, wie dem ſtarren Er¬ ſtaunen die kleinlichſten Spürverſuche folgten, wie der verbiſſene Neid triumphirte, Entrüſtung, ja Empörung gegen die langjährige Heuchelei laut und öffentlich zur Schau getragen ward. Das Haus, zu welchem der Eintritt als hohe Gunſtbezeugung erſtrebt worden war, ſah ſich ſcheu vermieden, gleich einem, in welchem ein anſteckendes Fieber ausgebrochen iſt; der ſtolze Bau des Rechtes und der Ehre ſchien in ſeinem Funda¬ ment erſchüttert; keine Hand regte ſich, ihn zu ſtützen, ſeitdem ſelber der Graf die Beziehungen zur Recken¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/218>, abgerufen am 19.03.2024.