Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

von Bett zu Bett, starrte angstvoll in jedes Kranken¬
angesicht, als ob sie Einen suche, der nicht zu finden,
Einen retten wollte, der nicht zu retten war und brach
dann am Ausgange vernichtet zusammen, um andern
Tages den qualvollen Weg von Neuem anzutreten.

"Selbstverständlich würde ich, wenn zur Stelle,
diese zwecklose Folter gehindert haben. Als ich aber
nach Jahr und Tag aus Frankreich heimkehrte, fand
ich die Spitäler geleert und Dorothee fast unverändert
die Alte. Erst während der Tage von Ligny und
Waterloo, -- ich befand mich wieder bei der Blücher¬
schen Armee -- soll eine kurze Katastrophe eingetre¬
ten sein, die mich auf die heutige hätte vorbereiten
können. Ich war nicht Zeuge derselben und tröstete
mich wiederum, daß die eindrucksfähige Kindernatur,
die Idiosyncrasie gegen alles, was Tod und Leiden
heißt, diese gewaltsame Erschütterung hervorgerufen
habe. Ihr gegenwärtiger Zustand, ohne jeglichen An¬
laß von Außen her, spricht jenem Troste Hohn. Ich
stehe wie ein Narr vor diesem Räthsel der Natur.

"Sie dürfen denken, Fräulein Hardine, daß da,
wo mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele stand, ich
dem eigenen Urtheil nicht allein vertraute. Ich habe
den Rath meiner anerkanntesten Collegen in Nähe

von Bett zu Bett, ſtarrte angſtvoll in jedes Kranken¬
angeſicht, als ob ſie Einen ſuche, der nicht zu finden,
Einen retten wollte, der nicht zu retten war und brach
dann am Ausgange vernichtet zuſammen, um andern
Tages den qualvollen Weg von Neuem anzutreten.

„Selbſtverſtändlich würde ich, wenn zur Stelle,
dieſe zweckloſe Folter gehindert haben. Als ich aber
nach Jahr und Tag aus Frankreich heimkehrte, fand
ich die Spitäler geleert und Dorothee faſt unverändert
die Alte. Erſt während der Tage von Ligny und
Waterloo, — ich befand mich wieder bei der Blücher¬
ſchen Armee — ſoll eine kurze Kataſtrophe eingetre¬
ten ſein, die mich auf die heutige hätte vorbereiten
können. Ich war nicht Zeuge derſelben und tröſtete
mich wiederum, daß die eindrucksfähige Kindernatur,
die Idioſyncraſie gegen alles, was Tod und Leiden
heißt, dieſe gewaltſame Erſchütterung hervorgerufen
habe. Ihr gegenwärtiger Zuſtand, ohne jeglichen An¬
laß von Außen her, ſpricht jenem Troſte Hohn. Ich
ſtehe wie ein Narr vor dieſem Räthſel der Natur.

„Sie dürfen denken, Fräulein Hardine, daß da,
wo mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele ſtand, ich
dem eigenen Urtheil nicht allein vertraute. Ich habe
den Rath meiner anerkannteſten Collegen in Nähe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0202" n="198"/>
von Bett zu Bett, &#x017F;tarrte ang&#x017F;tvoll in jedes Kranken¬<lb/>
ange&#x017F;icht, als ob &#x017F;ie Einen &#x017F;uche, der nicht zu finden,<lb/>
Einen retten wollte, der nicht zu retten war und brach<lb/>
dann am Ausgange vernichtet zu&#x017F;ammen, um andern<lb/>
Tages den qualvollen Weg von Neuem anzutreten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Selb&#x017F;tver&#x017F;tändlich würde ich, wenn zur Stelle,<lb/>
die&#x017F;e zwecklo&#x017F;e Folter gehindert haben. Als ich aber<lb/>
nach Jahr und Tag aus Frankreich heimkehrte, fand<lb/>
ich die Spitäler geleert und Dorothee fa&#x017F;t unverändert<lb/>
die Alte. Er&#x017F;t während der Tage von Ligny und<lb/>
Waterloo, &#x2014; ich befand mich wieder bei der Blücher¬<lb/>
&#x017F;chen Armee &#x2014; &#x017F;oll eine kurze Kata&#x017F;trophe eingetre¬<lb/>
ten &#x017F;ein, die mich auf die heutige hätte vorbereiten<lb/>
können. Ich war nicht Zeuge der&#x017F;elben und trö&#x017F;tete<lb/>
mich wiederum, daß die eindrucksfähige Kindernatur,<lb/>
die Idio&#x017F;yncra&#x017F;ie gegen alles, was Tod und Leiden<lb/>
heißt, die&#x017F;e gewalt&#x017F;ame Er&#x017F;chütterung hervorgerufen<lb/>
habe. Ihr gegenwärtiger Zu&#x017F;tand, ohne jeglichen An¬<lb/>
laß von Außen her, &#x017F;pricht jenem Tro&#x017F;te Hohn. Ich<lb/>
&#x017F;tehe wie ein Narr vor die&#x017F;em Räth&#x017F;el der Natur.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie dürfen denken, Fräulein Hardine, daß da,<lb/>
wo mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele &#x017F;tand, ich<lb/>
dem eigenen Urtheil nicht allein vertraute. Ich habe<lb/>
den Rath meiner anerkannte&#x017F;ten Collegen in Nähe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0202] von Bett zu Bett, ſtarrte angſtvoll in jedes Kranken¬ angeſicht, als ob ſie Einen ſuche, der nicht zu finden, Einen retten wollte, der nicht zu retten war und brach dann am Ausgange vernichtet zuſammen, um andern Tages den qualvollen Weg von Neuem anzutreten. „Selbſtverſtändlich würde ich, wenn zur Stelle, dieſe zweckloſe Folter gehindert haben. Als ich aber nach Jahr und Tag aus Frankreich heimkehrte, fand ich die Spitäler geleert und Dorothee faſt unverändert die Alte. Erſt während der Tage von Ligny und Waterloo, — ich befand mich wieder bei der Blücher¬ ſchen Armee — ſoll eine kurze Kataſtrophe eingetre¬ ten ſein, die mich auf die heutige hätte vorbereiten können. Ich war nicht Zeuge derſelben und tröſtete mich wiederum, daß die eindrucksfähige Kindernatur, die Idioſyncraſie gegen alles, was Tod und Leiden heißt, dieſe gewaltſame Erſchütterung hervorgerufen habe. Ihr gegenwärtiger Zuſtand, ohne jeglichen An¬ laß von Außen her, ſpricht jenem Troſte Hohn. Ich ſtehe wie ein Narr vor dieſem Räthſel der Natur. „Sie dürfen denken, Fräulein Hardine, daß da, wo mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele ſtand, ich dem eigenen Urtheil nicht allein vertraute. Ich habe den Rath meiner anerkannteſten Collegen in Nähe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/202
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/202>, abgerufen am 19.04.2024.