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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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eigenen Bedürfnissen beurtheilen. Weil mir nach
einem abspannenden Tagewerk eine Pause des Aus¬
ruhens Wohlthat war; weil ich nichts verlangte, als
das holdselige Geschöpf, still und vergoldend gleich
einem Sonnenstrahl, die Schatten meines Berufsle¬
bens streifen zu sehen; in meinem selbstsüchtigen Be¬
hagen übersah ich ihr unausgefülltes Einerlei, vergaß
den Widerspruch mit ihrer ursprünglich bewegsamen Na¬
tur, vergaß ihn um so leichter, als sie selber nie¬
mals klagte, nach nichts verlangte, immer versicherte
wohl zu sein und keine Spur des Hinwelkens ihre
Worte Lügen strafte. Sie war und blieb ein blühen¬
des, liebliches Kind, Fräulein Hardine, ein Engel der
Demuth; Dorothee, meine Gottesgabe, mein Sonnen¬
strahl!"

Der Mann verbarg das Gesicht hinter seinen
Händen, ich hörte ein krampfhaftes Schluchzen; lange
vermochte er nicht weiter zu reden und als er endlich
von Neuem begann, geschah es mehr zu sich selbst als
zu mir. "Die unterdrückte Natur rächt sich allemal --
allemal! -- wenn ich sie hätte reisen lassen -- ihr
Zerstreuung und Umgang gesucht -- Licht und Luft
um sie geschaffen in der weiten Einöde der Stadt:
-- nichts, nichts habe ich für sie gethan; mich an

eigenen Bedürfniſſen beurtheilen. Weil mir nach
einem abſpannenden Tagewerk eine Pauſe des Aus¬
ruhens Wohlthat war; weil ich nichts verlangte, als
das holdſelige Geſchöpf, ſtill und vergoldend gleich
einem Sonnenſtrahl, die Schatten meines Berufsle¬
bens ſtreifen zu ſehen; in meinem ſelbſtſüchtigen Be¬
hagen überſah ich ihr unausgefülltes Einerlei, vergaß
den Widerſpruch mit ihrer urſprünglich bewegſamen Na¬
tur, vergaß ihn um ſo leichter, als ſie ſelber nie¬
mals klagte, nach nichts verlangte, immer verſicherte
wohl zu ſein und keine Spur des Hinwelkens ihre
Worte Lügen ſtrafte. Sie war und blieb ein blühen¬
des, liebliches Kind, Fräulein Hardine, ein Engel der
Demuth; Dorothee, meine Gottesgabe, mein Sonnen¬
ſtrahl!“

Der Mann verbarg das Geſicht hinter ſeinen
Händen, ich hörte ein krampfhaftes Schluchzen; lange
vermochte er nicht weiter zu reden und als er endlich
von Neuem begann, geſchah es mehr zu ſich ſelbſt als
zu mir. „Die unterdrückte Natur rächt ſich allemal —
allemal! — wenn ich ſie hätte reiſen laſſen — ihr
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[196/0200] eigenen Bedürfniſſen beurtheilen. Weil mir nach einem abſpannenden Tagewerk eine Pauſe des Aus¬ ruhens Wohlthat war; weil ich nichts verlangte, als das holdſelige Geſchöpf, ſtill und vergoldend gleich einem Sonnenſtrahl, die Schatten meines Berufsle¬ bens ſtreifen zu ſehen; in meinem ſelbſtſüchtigen Be¬ hagen überſah ich ihr unausgefülltes Einerlei, vergaß den Widerſpruch mit ihrer urſprünglich bewegſamen Na¬ tur, vergaß ihn um ſo leichter, als ſie ſelber nie¬ mals klagte, nach nichts verlangte, immer verſicherte wohl zu ſein und keine Spur des Hinwelkens ihre Worte Lügen ſtrafte. Sie war und blieb ein blühen¬ des, liebliches Kind, Fräulein Hardine, ein Engel der Demuth; Dorothee, meine Gottesgabe, mein Sonnen¬ ſtrahl!“ Der Mann verbarg das Geſicht hinter ſeinen Händen, ich hörte ein krampfhaftes Schluchzen; lange vermochte er nicht weiter zu reden und als er endlich von Neuem begann, geſchah es mehr zu ſich ſelbſt als zu mir. „Die unterdrückte Natur rächt ſich allemal — allemal! — wenn ich ſie hätte reiſen laſſen — ihr Zerſtreuung und Umgang geſucht — Licht und Luft um ſie geſchaffen in der weiten Einöde der Stadt: — nichts, nichts habe ich für ſie gethan; mich an

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/200>, abgerufen am 28.03.2024.