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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Ernst an die Bezüchtigungen des Fremden glauben
könne, kam mir nicht in den Sinn. Ich suchte die
Stille meines Zimmers.

In Wahrheit ich fühlte mich tief bewegt. War doch,
wie durch einen Zauber, ein lange vergangenes, vergesse¬
nes Leben vor mir aufgerüttelt, in dem Augenblick, wo
ich über den Rest desselben zu verfügen im Begriffe
stand! Dazu der verwahrloste Zustand des Mannes und
seines Kindes, die Täuschung, der er sich hingegeben
und deren Berechtigung sein und mein alter Freund
mir warnend vorausgekündigt hatte. So sollte ich
diesem Freunde nach einem Menschenalter doch noch
seine vielverspottete Fürsorge danken lernen.

Während ich nach August Müllers Taufzeugniß
in meinen Papieren kramte, zweifelte ich nicht an meinem
Recht, den bethörten Mann über seine Herkunft auf¬
zuklären. Ich zeigte ihm, so meinte ich, das Attest,
verschwieg den Namen des Vaters, wie das fernere
Schicksal der Mutter, und wenn ich für ein schickliches
Unterkommen von Vater wie Tochter Sorge trug und
ihre Zukunft sicher stellte, war der Handel abgemacht.

Eben hatte ich nach langem Suchen das Zeugniß
gefunden, als der Prediger mit dem Grafen bei mir
eintrat. Der letztere in einer Aufregung, die mich an

Ernſt an die Bezüchtigungen des Fremden glauben
könne, kam mir nicht in den Sinn. Ich ſuchte die
Stille meines Zimmers.

In Wahrheit ich fühlte mich tief bewegt. War doch,
wie durch einen Zauber, ein lange vergangenes, vergeſſe¬
nes Leben vor mir aufgerüttelt, in dem Augenblick, wo
ich über den Reſt deſſelben zu verfügen im Begriffe
ſtand! Dazu der verwahrloſte Zuſtand des Mannes und
ſeines Kindes, die Täuſchung, der er ſich hingegeben
und deren Berechtigung ſein und mein alter Freund
mir warnend vorausgekündigt hatte. So ſollte ich
dieſem Freunde nach einem Menſchenalter doch noch
ſeine vielverſpottete Fürſorge danken lernen.

Während ich nach Auguſt Müllers Taufzeugniß
in meinen Papieren kramte, zweifelte ich nicht an meinem
Recht, den bethörten Mann über ſeine Herkunft auf¬
zuklären. Ich zeigte ihm, ſo meinte ich, das Atteſt,
verſchwieg den Namen des Vaters, wie das fernere
Schickſal der Mutter, und wenn ich für ein ſchickliches
Unterkommen von Vater wie Tochter Sorge trug und
ihre Zukunft ſicher ſtellte, war der Handel abgemacht.

Eben hatte ich nach langem Suchen das Zeugniß
gefunden, als der Prediger mit dem Grafen bei mir
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[184/0188] Ernſt an die Bezüchtigungen des Fremden glauben könne, kam mir nicht in den Sinn. Ich ſuchte die Stille meines Zimmers. In Wahrheit ich fühlte mich tief bewegt. War doch, wie durch einen Zauber, ein lange vergangenes, vergeſſe¬ nes Leben vor mir aufgerüttelt, in dem Augenblick, wo ich über den Reſt deſſelben zu verfügen im Begriffe ſtand! Dazu der verwahrloſte Zuſtand des Mannes und ſeines Kindes, die Täuſchung, der er ſich hingegeben und deren Berechtigung ſein und mein alter Freund mir warnend vorausgekündigt hatte. So ſollte ich dieſem Freunde nach einem Menſchenalter doch noch ſeine vielverſpottete Fürſorge danken lernen. Während ich nach Auguſt Müllers Taufzeugniß in meinen Papieren kramte, zweifelte ich nicht an meinem Recht, den bethörten Mann über ſeine Herkunft auf¬ zuklären. Ich zeigte ihm, ſo meinte ich, das Atteſt, verſchwieg den Namen des Vaters, wie das fernere Schickſal der Mutter, und wenn ich für ein ſchickliches Unterkommen von Vater wie Tochter Sorge trug und ihre Zukunft ſicher ſtellte, war der Handel abgemacht. Eben hatte ich nach langem Suchen das Zeugniß gefunden, als der Prediger mit dem Grafen bei mir eintrat. Der letztere in einer Aufregung, die mich an

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/188>, abgerufen am 18.04.2024.