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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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hause. Die Sorge um den väterlich geliebten Schütz¬
ling mag den lange siechen Körper aufgerieben haben.

Ich theilte diese Sorge nicht. Der soldatische
Instinkt des Knaben würde auf die Dauer doch nicht
zu bändigen gewesen sein; und wessen bedurfte un¬
sere Zeit so sehr, als dieses verwegenen Soldaten¬
triebes? Hatte er in dem vorzeitigen Rachezug ein
vorzeitiges Ende gefunden, -- nun wohlan! der Bo¬
den, dem die Freiheit entsprießen soll, muß ja, so
heißt es, mit Märtyrerblut gedüngt werden; und wie
hätte ich nicht eine genugthuende Fügung darin erken¬
nen sollen, daß der Sohn meines Helden von Valmy
unter dem Sohne des Feldherrn von Valmy voran¬
stürmte, um die Schmach zu tilgen, die mit dem Tage
von Valmy begann!

Als August Müller mir eines Tages plötzlich
wieder gegenübertrat, hatte ich ihn viele, viele Jahre
lang so gut wie vergessen. Ob Dorothee von seinem
Entweichen unter die schwarze Schaar gewußt, oder
ob sie dasselbe blos geahnt hat, habe ich niemals er¬
mittelt. Seit ich ihr am Begräbnißtage meines Va¬
ters Lebewohl gesagt, gehörte auch sie mir zu den
Begrabenen. Es that mir wohl, von ihr in Frieden
geschieden zu sein; aber wie einst im Unfrieden, so

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hauſe. Die Sorge um den väterlich geliebten Schütz¬
ling mag den lange ſiechen Körper aufgerieben haben.

Ich theilte dieſe Sorge nicht. Der ſoldatiſche
Inſtinkt des Knaben würde auf die Dauer doch nicht
zu bändigen geweſen ſein; und weſſen bedurfte un¬
ſere Zeit ſo ſehr, als dieſes verwegenen Soldaten¬
triebes? Hatte er in dem vorzeitigen Rachezug ein
vorzeitiges Ende gefunden, — nun wohlan! der Bo¬
den, dem die Freiheit entſprießen ſoll, muß ja, ſo
heißt es, mit Märtyrerblut gedüngt werden; und wie
hätte ich nicht eine genugthuende Fügung darin erken¬
nen ſollen, daß der Sohn meines Helden von Valmy
unter dem Sohne des Feldherrn von Valmy voran¬
ſtürmte, um die Schmach zu tilgen, die mit dem Tage
von Valmy begann!

Als Auguſt Müller mir eines Tages plötzlich
wieder gegenübertrat, hatte ich ihn viele, viele Jahre
lang ſo gut wie vergeſſen. Ob Dorothee von ſeinem
Entweichen unter die ſchwarze Schaar gewußt, oder
ob ſie daſſelbe blos geahnt hat, habe ich niemals er¬
mittelt. Seit ich ihr am Begräbnißtage meines Va¬
ters Lebewohl geſagt, gehörte auch ſie mir zu den
Begrabenen. Es that mir wohl, von ihr in Frieden
geſchieden zu ſein; aber wie einſt im Unfrieden, ſo

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[163/0167] hauſe. Die Sorge um den väterlich geliebten Schütz¬ ling mag den lange ſiechen Körper aufgerieben haben. Ich theilte dieſe Sorge nicht. Der ſoldatiſche Inſtinkt des Knaben würde auf die Dauer doch nicht zu bändigen geweſen ſein; und weſſen bedurfte un¬ ſere Zeit ſo ſehr, als dieſes verwegenen Soldaten¬ triebes? Hatte er in dem vorzeitigen Rachezug ein vorzeitiges Ende gefunden, — nun wohlan! der Bo¬ den, dem die Freiheit entſprießen ſoll, muß ja, ſo heißt es, mit Märtyrerblut gedüngt werden; und wie hätte ich nicht eine genugthuende Fügung darin erken¬ nen ſollen, daß der Sohn meines Helden von Valmy unter dem Sohne des Feldherrn von Valmy voran¬ ſtürmte, um die Schmach zu tilgen, die mit dem Tage von Valmy begann! Als Auguſt Müller mir eines Tages plötzlich wieder gegenübertrat, hatte ich ihn viele, viele Jahre lang ſo gut wie vergeſſen. Ob Dorothee von ſeinem Entweichen unter die ſchwarze Schaar gewußt, oder ob ſie daſſelbe blos geahnt hat, habe ich niemals er¬ mittelt. Seit ich ihr am Begräbnißtage meines Va¬ ters Lebewohl geſagt, gehörte auch ſie mir zu den Begrabenen. Es that mir wohl, von ihr in Frieden geſchieden zu ſein; aber wie einſt im Unfrieden, ſo 11*

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/167>, abgerufen am 29.03.2024.