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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"Niemals hätte ich das Herz, mich vor meinem Gat¬
ten als seine Mutter zu bekennen."

"Und was fürchten Sie, wenn Sie es thäten?"
fragte ich. Sie stutzte, nein, ich glaube sie seufzte
leise bei dem "Sie", das ich unwillkürlich gebrauchte.
Doch schien sie rasch über unser verändertes Verhält¬
niß klar geworden und antwortete mit dem Ausdruck
reinster Wahrheit: "Nichts für mich. Wenn er mich
verstieße, ich würde ihm meine Bettlerfreiheit danken;
wenn er mich tödtete, ich würde ihn für die Erlösung
segnen. Sie ahnen es nicht, Fräulein von Recken¬
burg, was es heißt, die Natur verleugnet zu haben.
Aber was ich fürchte, fragen Sie? Ich kann es deut¬
lich nicht sagen. Ein unbestimmtes, vielleicht falsches
Vorgefühl des Hasses, -- der Rache, -- da er den
Vater nicht mehr erreichen kann, gegen den unschul¬
digen Knaben, der Feindseligkeit auch gegen -- ge¬
gen -- --"

"Gegen die Schuldgenossen" ergänzte ich.

Sie neigte den Kopf. "Er ist ein gerechter, ein
argloser Mann, und gütig, o viel zu gütig gegen
mich," fuhr sie fort; "aber denke ich daran, so
blinkt es mir vor den Augen wie ein gezückter Dolch.
Er würde es niemals vergeben, und dem Schuldlosen

„Niemals hätte ich das Herz, mich vor meinem Gat¬
ten als ſeine Mutter zu bekennen.“

„Und was fürchten Sie, wenn Sie es thäten?“
fragte ich. Sie ſtutzte, nein, ich glaube ſie ſeufzte
leiſe bei dem „Sie“, das ich unwillkürlich gebrauchte.
Doch ſchien ſie raſch über unſer verändertes Verhält¬
niß klar geworden und antwortete mit dem Ausdruck
reinſter Wahrheit: „Nichts für mich. Wenn er mich
verſtieße, ich würde ihm meine Bettlerfreiheit danken;
wenn er mich tödtete, ich würde ihn für die Erlöſung
ſegnen. Sie ahnen es nicht, Fräulein von Recken¬
burg, was es heißt, die Natur verleugnet zu haben.
Aber was ich fürchte, fragen Sie? Ich kann es deut¬
lich nicht ſagen. Ein unbeſtimmtes, vielleicht falſches
Vorgefühl des Haſſes, — der Rache, — da er den
Vater nicht mehr erreichen kann, gegen den unſchul¬
digen Knaben, der Feindſeligkeit auch gegen — ge¬
gen — —“

„Gegen die Schuldgenoſſen“ ergänzte ich.

Sie neigte den Kopf. „Er iſt ein gerechter, ein
argloſer Mann, und gütig, o viel zu gütig gegen
mich,“ fuhr ſie fort; „aber denke ich daran, ſo
blinkt es mir vor den Augen wie ein gezückter Dolch.
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[134/0138] „Niemals hätte ich das Herz, mich vor meinem Gat¬ ten als ſeine Mutter zu bekennen.“ „Und was fürchten Sie, wenn Sie es thäten?“ fragte ich. Sie ſtutzte, nein, ich glaube ſie ſeufzte leiſe bei dem „Sie“, das ich unwillkürlich gebrauchte. Doch ſchien ſie raſch über unſer verändertes Verhält¬ niß klar geworden und antwortete mit dem Ausdruck reinſter Wahrheit: „Nichts für mich. Wenn er mich verſtieße, ich würde ihm meine Bettlerfreiheit danken; wenn er mich tödtete, ich würde ihn für die Erlöſung ſegnen. Sie ahnen es nicht, Fräulein von Recken¬ burg, was es heißt, die Natur verleugnet zu haben. Aber was ich fürchte, fragen Sie? Ich kann es deut¬ lich nicht ſagen. Ein unbeſtimmtes, vielleicht falſches Vorgefühl des Haſſes, — der Rache, — da er den Vater nicht mehr erreichen kann, gegen den unſchul¬ digen Knaben, der Feindſeligkeit auch gegen — ge¬ gen — —“ „Gegen die Schuldgenoſſen“ ergänzte ich. Sie neigte den Kopf. „Er iſt ein gerechter, ein argloſer Mann, und gütig, o viel zu gütig gegen mich,“ fuhr ſie fort; „aber denke ich daran, ſo blinkt es mir vor den Augen wie ein gezückter Dolch. Er würde es niemals vergeben, und dem Schuldloſen

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/138>, abgerufen am 28.03.2024.