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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Probst, dessen Sohn in seinem thüring'schen Pfarr¬
hause den Freund seines Vaters gastlich beherbergt
und ihn wohlbehalten und wohlgemuth gefunden hatte.
Der Haupttheil der Sachsen stand bei dem Hohen¬
loheschen östlichen Flügelcorps; unser Husarenregi¬
ment an der oberen Saale bei den Vorposten, welche
Prinz Louis Ferdinand führte. Noch war Jedermann
im Dunkel, ob das Corps dem Feinde entgegen auf
das rechte Flußufer rücken, oder ob es sich näher an
die Hauptarmee bei Erfurt ziehen werde. Dieser
Brief, datirt vom achten Oktober, erreichte uns erst
am Nachmittage des elften. Die Mutter hörte den
beruhigenden Inhalt ohne Glauben und fast ohne
Antheil. Sie saß in sich versunken in einem zehren¬
den Fieber. Mich durchzuckte ein Ahnen, daß auch
ohne vernichtenden Schlag sie diese Prüfungszeit nicht
überdauern werde.

Am anderen Morgen durchliefen beunruhigende
Gerüchte die Stadt; Gerüchte, wie sie in solchen Ta¬
gen in der Luft zu schwirren scheinen: Keiner sucht
und erfährt ihren Heerd. Ich las sie in den Mienen
der Vorüberstürzenden, fing sie auf aus ihren halben
Worten, wenn ich auf einen Augenblick die Mutter
zu verlassen und auf die Straße zu treten wagte. Rei¬

Probſt, deſſen Sohn in ſeinem thüring'ſchen Pfarr¬
hauſe den Freund ſeines Vaters gaſtlich beherbergt
und ihn wohlbehalten und wohlgemuth gefunden hatte.
Der Haupttheil der Sachſen ſtand bei dem Hohen¬
loheſchen öſtlichen Flügelcorps; unſer Huſarenregi¬
ment an der oberen Saale bei den Vorpoſten, welche
Prinz Louis Ferdinand führte. Noch war Jedermann
im Dunkel, ob das Corps dem Feinde entgegen auf
das rechte Flußufer rücken, oder ob es ſich näher an
die Hauptarmee bei Erfurt ziehen werde. Dieſer
Brief, datirt vom achten Oktober, erreichte uns erſt
am Nachmittage des elften. Die Mutter hörte den
beruhigenden Inhalt ohne Glauben und faſt ohne
Antheil. Sie ſaß in ſich verſunken in einem zehren¬
den Fieber. Mich durchzuckte ein Ahnen, daß auch
ohne vernichtenden Schlag ſie dieſe Prüfungszeit nicht
überdauern werde.

Am anderen Morgen durchliefen beunruhigende
Gerüchte die Stadt; Gerüchte, wie ſie in ſolchen Ta¬
gen in der Luft zu ſchwirren ſcheinen: Keiner ſucht
und erfährt ihren Heerd. Ich las ſie in den Mienen
der Vorüberſtürzenden, fing ſie auf aus ihren halben
Worten, wenn ich auf einen Augenblick die Mutter
zu verlaſſen und auf die Straße zu treten wagte. Rei¬

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[119/0123] Probſt, deſſen Sohn in ſeinem thüring'ſchen Pfarr¬ hauſe den Freund ſeines Vaters gaſtlich beherbergt und ihn wohlbehalten und wohlgemuth gefunden hatte. Der Haupttheil der Sachſen ſtand bei dem Hohen¬ loheſchen öſtlichen Flügelcorps; unſer Huſarenregi¬ ment an der oberen Saale bei den Vorpoſten, welche Prinz Louis Ferdinand führte. Noch war Jedermann im Dunkel, ob das Corps dem Feinde entgegen auf das rechte Flußufer rücken, oder ob es ſich näher an die Hauptarmee bei Erfurt ziehen werde. Dieſer Brief, datirt vom achten Oktober, erreichte uns erſt am Nachmittage des elften. Die Mutter hörte den beruhigenden Inhalt ohne Glauben und faſt ohne Antheil. Sie ſaß in ſich verſunken in einem zehren¬ den Fieber. Mich durchzuckte ein Ahnen, daß auch ohne vernichtenden Schlag ſie dieſe Prüfungszeit nicht überdauern werde. Am anderen Morgen durchliefen beunruhigende Gerüchte die Stadt; Gerüchte, wie ſie in ſolchen Ta¬ gen in der Luft zu ſchwirren ſcheinen: Keiner ſucht und erfährt ihren Heerd. Ich las ſie in den Mienen der Vorüberſtürzenden, fing ſie auf aus ihren halben Worten, wenn ich auf einen Augenblick die Mutter zu verlaſſen und auf die Straße zu treten wagte. Rei¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/123>, abgerufen am 25.04.2024.