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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Aber ich sah auch an der Spitze der Armee wieder
den halbschlüssigen Feldherrn von Zweiundneunzig, wo
Friedrichs Ruhmesfahne sich zu senken begann; heute
ein Greis, von Greisen umgeben und gegenüber nicht
einer Rotte von Sanscülotten, sondern einer sieges¬
trunkenen Armee unter einem Kaiser Napoleon. Und
jener Autorität der Erinnerung sah ich wieder einen
König von Preußen freiwillig unterstellt, einen nüch¬
ternen, schüchternen Herrn, in dessen ernsten Augen,
-- von Allen allein, -- ein Spüren der Katastrophe
zu lesen war; ein Ahnen aller Leiden der Zeit, die er
zu spät verstehen lernte.

Die Armee hatte sich seit fast zwei Wochen west¬
wärts den Fluß entlang gezogen. In der Stadt war
keine Besatzung zurückgeblieben, eine bängliche Stille
dem lauten Treiben gefolgt: die Stille vor dem Sturm.
Von Stunde zu Stunde erwartete man die Nachricht
eines Zusammenstoßes, Niemand aber ahnte, wo der
gefürchtete Sieger von Austerlitz, der nach der letzten
Kunde, Anfang Oktober, in Würzburg angekommen
war, diesen Zusammenstoß suchen, oder ihm begegnen
werde. Auch die Armee ahnte es nicht, wie uns ein
erster Brief des Vaters angedeutet hatte.

Die letzte Nachricht über ihn brachte uns der

Aber ich ſah auch an der Spitze der Armee wieder
den halbſchlüſſigen Feldherrn von Zweiundneunzig, wo
Friedrichs Ruhmesfahne ſich zu ſenken begann; heute
ein Greis, von Greiſen umgeben und gegenüber nicht
einer Rotte von Sanscülotten, ſondern einer ſieges¬
trunkenen Armee unter einem Kaiſer Napoleon. Und
jener Autorität der Erinnerung ſah ich wieder einen
König von Preußen freiwillig unterſtellt, einen nüch¬
ternen, ſchüchternen Herrn, in deſſen ernſten Augen,
— von Allen allein, — ein Spüren der Kataſtrophe
zu leſen war; ein Ahnen aller Leiden der Zeit, die er
zu ſpät verſtehen lernte.

Die Armee hatte ſich ſeit faſt zwei Wochen weſt¬
wärts den Fluß entlang gezogen. In der Stadt war
keine Beſatzung zurückgeblieben, eine bängliche Stille
dem lauten Treiben gefolgt: die Stille vor dem Sturm.
Von Stunde zu Stunde erwartete man die Nachricht
eines Zuſammenſtoßes, Niemand aber ahnte, wo der
gefürchtete Sieger von Auſterlitz, der nach der letzten
Kunde, Anfang Oktober, in Würzburg angekommen
war, dieſen Zuſammenſtoß ſuchen, oder ihm begegnen
werde. Auch die Armee ahnte es nicht, wie uns ein
erſter Brief des Vaters angedeutet hatte.

Die letzte Nachricht über ihn brachte uns der

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[118/0122] Aber ich ſah auch an der Spitze der Armee wieder den halbſchlüſſigen Feldherrn von Zweiundneunzig, wo Friedrichs Ruhmesfahne ſich zu ſenken begann; heute ein Greis, von Greiſen umgeben und gegenüber nicht einer Rotte von Sanscülotten, ſondern einer ſieges¬ trunkenen Armee unter einem Kaiſer Napoleon. Und jener Autorität der Erinnerung ſah ich wieder einen König von Preußen freiwillig unterſtellt, einen nüch¬ ternen, ſchüchternen Herrn, in deſſen ernſten Augen, — von Allen allein, — ein Spüren der Kataſtrophe zu leſen war; ein Ahnen aller Leiden der Zeit, die er zu ſpät verſtehen lernte. Die Armee hatte ſich ſeit faſt zwei Wochen weſt¬ wärts den Fluß entlang gezogen. In der Stadt war keine Beſatzung zurückgeblieben, eine bängliche Stille dem lauten Treiben gefolgt: die Stille vor dem Sturm. Von Stunde zu Stunde erwartete man die Nachricht eines Zuſammenſtoßes, Niemand aber ahnte, wo der gefürchtete Sieger von Auſterlitz, der nach der letzten Kunde, Anfang Oktober, in Würzburg angekommen war, dieſen Zuſammenſtoß ſuchen, oder ihm begegnen werde. Auch die Armee ahnte es nicht, wie uns ein erſter Brief des Vaters angedeutet hatte. Die letzte Nachricht über ihn brachte uns der

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/122>, abgerufen am 24.04.2024.